1989 - Keine Stunde Null
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Keine Stunde Null
Ausrichtung zum 50. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution 1967. Wenn auch modifiziert laufen sicherlich bereits entsprechende Planungen mit dieser Gesinnung für den 100. Jahrestag im Jahre 2017


"Was hätte man bei der Wiedervereinigung Deutschlands besser machen können?" Das war wieder einmal Gesprächsstoff unter Besuchern einer Ausstellung des Leipziger Bürgerkomitees im Januar 2011. Denn man konnte dort dazu Antworten finden – so z.B. Schriftdokumente und Fotos der wichtigen Gesprächspartner von Bundeskanzler Helmut Kohl wie Hans-Wilhelm Ebeling, Wolfgang Schnur und Lothar de Maizière.

Nicht etwa Personen, die – in freier Selbstbestimmung handelten oder reumütig Fehler eingestanden – den Weg der Demokratisierung suchten, rückten in Zentren der Macht, sondern jene Kader, die im DDR-Verteidigungsfall von der SED mit ihren Ausführungs- und Spitzelapparaten in Blockparteien, Massenorganisationen und Kirchen dafür plan-, einsatz- bzw. aktenmäßig vorgesehen waren.

KPdSU und SED richteten ihre Ziele zum Sieg des Sozialismus-Kommunismus langfristig aus, sowohl bezüglich ihrer Kaderentwicklungen, die für den KGB und das MfS sogar bereits Minderjährige anwarben, als auch für die Nomenklatura (z.Bsp. reichten 1989 die Kaderentwicklungspläne der "Karl-Marx-Universität" Leipzig bereits bis ins Jahr 2000), Kooperationsverträge (KGB und MfS) und strategische Spionage über größere Zeiträume (30 Jahre).

Dies gibt einen verhängnis- wie bedeutungsvollen Unterschied mit Blick zur ersten deutschen Diktatur frei: Nicht die Einsicht in das grundlegende Scheitern einer Diktatur bestimmte das Verhalten jener "Wendekader" 1989, sondern der Auftrag zum Machterhalt im Sinne der Vorwärtsstrategie von SED und KPdSU zum Sieg des Sozialismus, gleich unter welchen Vorzeichen, gleich in welchen Parteien und Funktionen und unter welchen Umständen.

Dies muß differentiell verstanden werden, denn mehrere Generationen dienten gleichzeitig in den Partei- und Geheimdienstapparaten. Der Wissensstand der Vorkriegs- und Kriegsgeneration mit der zwölfjährigen ersten deutschen Diktatur unterschied sich beträchtlich von der folgenden, über 40 Jahre andauernden. Während die Jahre von 1933 bis 1945 generativ noch überbrückbar waren, führte die gezielte Unterdrückung, Herabwürdigung und Zerstörung bürgerlicher Werte in der ehemaligen DDR zu einen Kulturbruch, der unter dem gelockerten Begriff "Humanismus" auch in den 1980er Jahren nicht mehr kompensiert werden konnte.

Daher sind auch die Ansichten, Mittel und Methoden generationsspezifisch verschieden. Während der ältere, verharrende Teil der Funktionäre die Geschehnisse von 1989 als Konterrevolution ansah, wurden diese von dem bestimmenden, aktiven und realitätsnäheren Kaderpotential (Gorbatschow und dem KGB folgend) in ihrer Bezeichnung als "Revolution" dankend aufgegriffen. Mit tschekistischer Desinformationspolitik wurde das MfS als "Altherrenriege" deklariert und für aufgelöst erklärt.

Die in der "Wende" eingesetzten Kader hatten zwei Hauptaufgaben zu erfüllen. Zum einen besetzten sie unter den Vorzeichen neu entstehender Strukturen überall in Parteien, Verwaltungen, Behörden und neu entstehenden Organisationen Leitungsposten. Zum anderen galt es dann, den gesamten wasserköpfigen Apparaten der DDR-Parteien und Ministerien (u.a. des MfS und des Ministeriums des Innern) sowie deren hauptamtlich Unterstellte in Betrieben und Massenorganisationen neue Versorgungsposten zu sichern.

Nicht etwa Eliten im Sinne von Leistungsträgern der ehemaligen DDR wurden somit nach 1989 bestimmend, sondern vorwiegend Spitzel und Kader, die aufgrund ihrer entsprechenden Verflechtungen in Machtpositionen delegiert wurden und die zum erfolgreichen Rollenspiel gerade Fachleute (mit zweifellos oftmals politischen Fehlorientierungen) ins Abseits drängten.

Durch diese Planungen landeten Kader, teilweise sogar ganze Abteilungen ungeprüft oder legendiert in staatlichen Verwaltungen, Ministerien, Arbeitsämtern, aber auch bei großen Firmen wie Telekom, Siemens, Deutsche Bahn AG...

Unbemerkt von der Öffentlichkeit fand gleichzeitig eine besondere Art der Vereinigung statt.

Denn die hektische Betriebsamkeit der besonderen Elite der Auslandsspionage, der Hauptabteilung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (HV A) und ihren osteuropäischen Verbündeten bestand zur Wendezeit nicht nur in der Aktenvernichtung, sondern darin, Enttarnungen zuvorkommend, selbst auf allen Ebenen aktiv zu werden (einschließlich im Verfassungschutz und im BND selbst). Auch beim Ausschwärmen der Kader zur Partnersuche in den westlichen Teilen Deutschlands blieb wenig dem Zufall überlassen. Schließlich hatte die HV A nicht nur tausende Mitarbeiter außerhalb der Grenzen der DDR, auf die sie sich verlassen konnte, sondern sie war auch bestens informiert, indem sie auf eine bereits "gecastete", potentiell DDR-freundliche Klientel und funktionierende Geschäftskontakte des MfS zurückgreifen konnte.

Verhängnisvoll war dies in der Phase der Wiedervereinigung zudem, weil die einst junge westdeutsche 1968er-Generation, die gegen nationalsozialistische Kontinuitäten, ungebremste antidemokratische Auswüchse und den Vietnamkrieg rebellierte, über die HV A dann bis hin zur RAF gefördert und beeinflußt worden war. Das bedeutet, daß die tradierte Aneignung bürgerliche Werte an vielen Stellen einem leichter zu inszenierenden ideologischen Haß aufsaß und ein Kulturbruch stattfand, d.h. die weitere Entwicklung wog die Defizite nicht auf. Eine Generation später ziehen nicht mehr bodenständige und kulturfremde Kader in verantwortungsvolle Positionen nach Ostdeutschland in Affinität zu gescheiterten Alternativen und der völligen Unterschätzung der SED und ihrer Vasallen, die eben gerade 1967 mit den Feiern zum 50. Jahrestag der "Großen Sozialistischen Oktoberrevolution" eine offensive Strategie für ihre Kulturverbrechen vorantrieben.

Was folglich in Ostdeutschland nicht gebraucht wurde nach 1989, waren Unternehmer mit Durchblick und selbständig denkende Partner, die sich auch perspektivisch nicht erpressen ließen. Bei einer demokratischen Entwicklung hätte man ja versucht sein können, jene Bürger einzubeziehen, die an vielen Stellen wußten, wie man etwas hätte besser machen können. Aber im Vollzug der parteitreu und traditionsgemäß unterbundenen Fehlerdiskussion griff man vorzugsweise – je nach Prüftiefe – wieder auf SED-Kader oder auf eine legendierte Klientel und andere "Geister" zurück, die stets handsam und linientreu geführt werden konnten.

Jedes Amt wurde dann abgeschottet und sozusagen zu seinem eigenen Königreich. Damit wird verständlich, warum unter derartigen Bedingungen die deutsche Wiedervereinigung leicht ein Faß ohne Boden werden konnte. Nichts lag näher als mit dem Schrei nach Fördergeldern den "Klassenfeind" auf seinem eigenen Territorium so in die Bredouille zu bringen, daß dessen Staat in einer revolutionäre Situation gerät...

Zwar konnte niemand im Jahre 1989 vorhersehen, wie die Entwicklung der DDR-Staatspleite konkret ablaufen würde, aber so lange die Machtstrukturen und Vernetzungen standhielten und auch nur partiell erneuert werden können, so lange die Unterlagen in Jassenewo und in der BStU nicht aufgearbeitet und transparent sind und folglich die bis heute anhaltende Erpreßbarkeit nicht enttarnter Perspektivkader zu jeder Zeit gegeben ist, so lange B-Kader wie Auslandsspitzel in Rollenspielerpositionen weiter auf ihren Lebenslügen beharren, so lange bleibt das Grundgesetz in Deutschland wie die Bundesrepublik selbst weiter gefährdet.

Unter diesen Vorzeichen konnte es keine demokratische Entwicklung im Zuge der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten geben.


Einige Beiträge aus dem Forum Paulinerkirche:

Mal was für Herrn Dreiling zum Nachdenken (17.01.2005)
Link: http://www.paulinerkirche.org/archiv/forum/dreiling.html

Von den Idealen zu den Schmierläusen (02.04.2005)
Link: http://www.paulinerkirche.org/archiv/forum/schmier.html

Was wird an der Universität Leipzig noch ausgeblendet? (14.05.2005)
Link: http://www.paulinerkirche.org/archiv/forum/stasiuni.html


Weitere Dokumente und Beiträge:

Grundlagen: Zu den B-Strukturen
Link: http://www.paulinerkirche.org/archiv/ethik/k2/bstruktur.html

Formen der Diktaturfolgen (20.02.2008)
Link: http://www.paulinerkirche.org/archiv/ethik/k2/cdukrebs2.html

Schreiben an Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert (11.02.2010)
Link: http://www.paulinerkirche.org/archiv/ethik/k2/anlammert100211.html


Weitere Links:

KGB in Deutschland - Dokumentation (2007)
Link: http://www.dw-world.de/dw/article/0,,2355373,00.html

Literatur:

"Pfarrer, Christen und Katholiken". Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und die Kirche. Hrsg. von Gerhard Besier und Stephan Wolf.
Neukirchener Neukirchen-Vluyn, 1991

Ladislav Bittmann: The KGB and Soviet disinformation.
Pergamon-Brassey´s International Defense Publishers, Washington 1985

Jürgen Borchert: Die Zusammenarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) mit dem sowjetischen KGB in den 70er und 80er Jahren. Ein Kapitel aus der Geschichte der SED-Herrschaft
Reihe: Diktatur und Widerstand, Bd. 13, LIT-Verlag, Berlin 2006

Urs Graf: Aktive Massnahmen. Eine Einführung in die sowjetischen Techniken der Beeinflussung.
Predok Zürich 1989

Stéphane Hessel: Empört Euch!
Ullstein Berlin 2010

Hans Graf Huyn: Die deutsche Karte
Moskaus neue Strategie, Universitas München 1991

Hubertus Knabe: Die unterwanderte Republik Stasi im Westen
Propyläen Verlag Berlin 1999

Gerd-Helmut Komossa: Die deutsche Karte
Ares Verlag Graz 2007

Ferdinand Kroh: Wendemanöver - Die geheimen Wege zur Wiedervereinigung
Hanser Verlag München 2005

Uwe Müller / Grit Hartmann: Vorwärts und vergessen!
Das gefährliche Erbe der SED-Diktatur.
Rowohlt Berlin 2009

Karl Nolle: Sonate für Blockflöten und Schalmeien
Zum Umgang mit der Kollaboration heutiger CDU-Funktionäre im SED-Regima
Sächsische Hefte Nr. 7 Dresden Juni 2009

Ralf Georg Reuth / Andreas Bönte: Das Komplott
Wie es wirklich zur Deutschen Einheit kam
Piper München 1993

Jürgen Schreiber: Die Stasi lebt. Berichte aus einem unterwanderten Land.
Knaur München 2009