Ansprache des Rektors der Karl-Marx-Universität Leipzig

Prof. Dr. sc. Dr. h. c. Lothar Rathmann

auf dem

Akademischen Festakt

Aus Anlaß des 575. Jahrestages der Gründung der

Alma mater Lipsiensis am 2. Dezember 1984



Rektorrede zum Festakt am 2. 12. 1984


Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freunde und Genossen!


Mein Gruß gilt Ihnen allen, die Sie aus nah und fern gekommen sind, um der Alma mater Lipsiensis zu ihrem 575jährigen Jubiläum Reverenz zu erweisen.

Entstanden im Jahre 1409 nach dem Weggang deutscher Professoren und Studenten aus Prag an der Grenze von feudaler Spätscholastik und Frühhumanismus wirkt sie heute als sozialistische universitas litterarum, die ihren Ehrentag ganz im Zeichen der 35. Wiederkehr der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik begeht. Mit der Bildung des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden erfüllte sich, was die besten Magister und Scholaren unserer Hohen Schule ersehnt und wofür sie gestritten haben: ein Deutschland des Friedens, die Verwirklichung der grundlegenden Menschenrechte, eine Heimat für die Wissenschaft, in der sie ihr fortschrittsförderndes, humanistisches Wesen voll zu entfalten vermag.

Gemessen an den sechs saecula Leipziger Universitätsgeschichte sind dreieinhalb Dezennien wahrlich eine knappe Zeitspanne. Doch was besagt das schon!

Denn das berühmte Marx-Wort von den Revolutionen als den Lokomotiven der Geschichte gilt bezogen auf seine Wirkung ebenfalls für die Schmieden der Wissenschaft; zumal im Bannkreis einer Revolution, die unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei und im festen Bündnis mit der Sowjetunion die grundlegende Wende in der Geschichte unseres Volkes herbeiführte.

So sind die Jahre, in denen unsere hohe Bildungsstätte unter dem Banner des Sozialismus voranschreitet, nicht einfach die chronologisch jüngste, sondern zugleich die bedeutendste, die ertragreichste Etappe, auch die erregendste ihrer gesamten Geschichte.

Das gilt - wie mir scheinen will

- vom Standpunkt des allgemeinen Epochefortschritts,

- gilt für den Zuwachs an wissenschaftlicher Erkenntnis im Dienste des Friedens und echter Lebensqualität zum Wohle des Volkes,

- gilt für die praktische Verwirklichung des Bestimmenden im klassischen Gebäude der universitas litterarum, des Ideals der humanistischen Menschenbildung.

Es macht stolz auf den Sozialismus, auf unsere Deutsche Demokratische Republik, daß zum ersten Mal in fünfdreiviertel Jahrhunderten eine vorbehaltlos positive Antwort auf die Frage nach dem Sinn wissenschaftlicher Arbeit gegeben werden kann.

Für diese einzigartige Befreiungstat an der Wissenschaft möchte ich an diesem Jubiläumstage

- der Arbeiterklasse und allen Werktätigen,

- ihrer führenden Kraft, unserer marxistisch-leninistischen Partei,

- dem Zentralkomitee und seinem Generalsekretär, Genossen Erich Honecker, ganz persönlich, im Namen der 25 000 Angehörigen unserer Universität und zugleich

- hier mag das große Wort am Platz sein – im Namen ihrer traditionsreichen Geschichte herzlichen Dank sagen.

Verehrtes Auditorium!

Wenn von der altehrwürdigen Alma mater Lipsiensis die Rede ist, wird des öfteren auf ihre Kontinuität verwiesen, darauf, daß sie alle Gefahren ihrer wechselvollen Geschichte, alle Angriffe auf ihre Existenz letztlich überstanden hat. Gewiß eine unübersehbare Tatsache.

Aber ein Tag war unvergleichbar in Bedeutung und Inhalt mit allen anderen, die Geschichte unserer Hohen Schule markierenden Einschnitte: der 5. Februar 1946, an dem im nahegelegenen Filmtheater Capitol die revolutionäre Erneuerung der Alma mater Lipsiensis proklamiert wurde.

Das war im Gefolge der grundlegenden Veränderung der politischen Machtverhältnisse kein einfaches Fortschreiben von Erbe und Tradition: das war Zäsur, das war Zusammenstoß der Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität, das war Aufbruch zur welthistorischen Epoche des Sozialismus, deren erstes Wetterleuchten an unserer Universitas die Episode gebliebene Hissung der Roten Fahne im November 1918 auf dem Augusteum gewesen war.

Vor diesem denkwürdigen Tag lag die dunkelste aller Wegstrecken: eine durch faschistische Gewaltherrschaft geistig verödete Universität mit einer von anglo-amerikanischen Bomben fast total zerstörten materiellen Substanz.

Deshalb stand zunächst die titanische Aufgabe – gemäß dem Aufruf des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945 –, den bis in die Elfenbeintürme höchster Gelehrsamkeit gekrochenen faschistischen Ungeist mit Stumpf und Stiel auszurotten und im Gleichklang mit dem Charakter der neuen revolutionären Ordnung Ausgangspositionen für einen Qualitätsumschlag dieser traditionsreichen Hohen Schule zu schaffen.

Führt man die unter Führung der jungen Parteiorganisation der Universität gegen heftigen Widerstand Unbelehrbarer erstrittenen geschichtlichen Entscheidungen in diesen ersten Jahren nach der Befreiung auf ihren Kern, so besaßen vor allem die folgenden drei die Dimension revolutionärer Veränderung:

Es wurde das Bildungsprivileg der Bourgeoisie gebrochen, den Söhnen und Töchtern der Arbeiterklasse und der werktätigen Bauernschaft das Tor zur höchsten Bildungsstätte weit aufgetan. Erstmals erhob sich damit die Universität im wahrsten Sinne des Wortes zur Universität des Volkes.

So gilt denn auch in dieser festlichen Stunde unser dankbarer Gruß den vielen unter uns befindlichen ehemaligen Angehörigen der im Geburtsjahr der Republik gegründeten Arbeiter-und-Bauern-Fakultät:

Unser Gruß gilt den Lehrern, die häufig die Erzieher heutiger Lehrer waren. Sie gewannen Autorität nicht nur durch ihre oft hart errungene fachliche Kompetenz, sondern Kraft ihrer menschlichen, das heißt politischen und moralischen Ausstrahlung, durch das Beispiel vorgelebten Lebens, das sich in den Kämpfen der Zeit konturierte.

Und unser Gruß gilt den ehemaligen 5000 ABF-Studenten, die beweisen wollten, wozu sie fähig waren; und zwar ganz im Sinne der eindringlichen Worte Bertolt Brechts „An die Studenten im wiederaufgebauten Hörsaal“:

„Vergeßt nicht: mancher Euresgleichen stritt daß Ihr hier sitzen könnt und nicht mehr sie. Und nun vergrabt Euch nicht und kämpfet mit und lernt das Lernen und verlernt es nie!“

Unsere Arbeiter-und-Bauern-Fakultät befreite den Begriff des Kommilitonen von historischer Patina und gab ihm seinen eigentlichen revolutionären Gehalt des aus dem Volke kommenden Mitstreiters im Ringen um gesellschaftlichen Fortschritt und die Aneignung der Wissenschaft zum Wohle der Menschheit.

Zum zweiten begann sich nach Jahren unsagbarer Schmach unsere Alma mater der Aufgabe wieder bewußt zu werden, eine Bildungsstätte wissenschaftlicher Wahrheit zu sein.

In von Narben des Krieges schwer gezeichneten Instituten, in völlig ungenügend ausgerüsteten Labors und in von Kranken total überfüllten Kliniken regte sich der unbändige Drang nach wahrer Menschlichkeit verpflichteten, wissenschaftlichen Arbeit, nahm ein im Rückblick unvergleichlich anmutender Prozeß des Aufbruchs zur Wissenschaft, zu fundamentaler geistiger Neuorientierung seinen konfliktgeladenen Anfang.

Und in ihm eingebettet, gewissermaßen als sein revolutionäres Ferment, zog erstmals in deutscher Universitätsgeschichte die Wissenschaft des Marxismus-Leninismus in die Hörsäle ein. Überragendes leistete dabei in harter Auseinandersetzung mit jenen, die ihn als „Philosophie der Straße“, als „Philosophie der Masse“ verunglimpfen wollten, die im Februar 1947 gebildete Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät.

Das Wirkungsfeld der legendären Gewifa wie das der Pädagogischen Fakultät reichte weit über die Fakultätsgrenzen hinaus. Von hier aus vollzog sich der Durchbruch des Marxismus-Leninismus an der Universität, wurden die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei ausgebaut sowie den Betriebsgruppen der Freien Deutschen Jugend und der Gewerkschaftsorganisation Kader zugeführt: mit einem Wort, von hier aus wurde der maßgebliche Schritt in Richtung auf die sozialistische Universität getan.

Und es formierte sich drittens in dieser Entscheidungssituation ein neuer antifaschistisch-demokratischer Lehrkörper aus marxistischen und bürgerlich-humanistischen Gelehrten, die darauf brannten, für den demokratischen Neubeginn ihre ganze, noch verbliebene Kraft einzusetzen.

Verweilen wir einen Augenblick bei einigen von ihnen, um den neuen Geist, der diesen Lehrkörper beseelte, deutlich zu machen (1):

Gerhard Harig, Kommunist, Physiker, nach der faschistischen Machtübernahme Entlassung aus dem Hochschuldienst; Aufnahme einer wissenschaftlichen Tätigkeit in der UdSSR; 1938-1945 Lagerhäftling Nr. 173 im Konzentrationslager Buchenwald; 1947 Berufung an die Universität Leipzig als erster Ordinarius für dialektischen und historischen Materialismus an einer deutschen Universität und erster Staatssekretär für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR.

Theodor Frings, 1927 - 1968 Lehrstuhlinhaber für Germanistik; Gelehrter von internationalem Rang mit dem Bewußtsein tiefer Verantwortung für die Erziehung der Jugend im Geiste der Humanität und Völkerfreundschaft,

Emil Fuchs, Professor für Systematische Theologie und Religionssoziologie. Jede Verkettung von Glauben und Theologie mit imperialistischer Ideologie ablehnend, bekannte er sich wegweisend zur Auffassung, daß christlicher Glaube und gesellschaftliche Verantwortung für Frieden und Sozialismus nicht zu trennen sind.

Robert Schröder, Inhaber des Leipziger Lehrstuhls für Gynäkologie; hervorragender Wissenschaftler des Volkes; ein Gelehrter, der in überragender Weise imstande war, Arzttum, Lehre und Forschung zu verknüpfen; oder

Werner Krauss, antifaschistischer Widerstandskämpfer der „Roten Kapelle“; 1943 verhaftet und 20 Monate in täglicher Erwartung seiner Hinrichtung in eine Todeszelle gesperrt; folgte Ende 1947 dem Ruf an unsere Universität und wurde als Romanist von Weltrang zu einem ihrer bedeutendsten Gelehrten mit unanfechtbarer humanistischer und sozialistischer Gesinnung.

Jeder von ihnen hat, inspiriert von dem behutsam entwickelten und zugleich vorwärtsführenden Bündnis von Arbeiterklasse und Intelligenz, ungeachtet unterschiedlicher Herkunft und Denkweise durch wissenschaftliches Ethos und politisches Verantwortungsbewußtsein auf unverwechselbare Art dazu beigetragen, daß die antifaschistischdemokratische Entwicklung auch an der Leipziger Universität rasch an Boden gewann und sich ein Lehrkörper bildete, der seine Arbeit mit dem Schwur antrat: „Nie wieder und jetzt auf andere, auf unsere Art.“

Den Gelehrten dieser hart geprüften ersten Hochschullehrergeneration nach der Befreiung vom Faschismus und den Arbeitern und Angestellten, die als Aktivisten der ersten Stunde an ihrer Seite standen, – nicht wenige befinden sich als Emeriti und Veteranen der Arbeit in unserer Mitte - bekunden wir, denen aufgetragen ist, ihr Werk fortzusetzen, unsere tiefempfundene Dankbarkeit.

Wie groß das damals Vollbrachte war und wie grundlegend für unsere vom Faschismus geschändete Hohe Schule und für ihr verblichenes Ansehen in der Welt der Wissenschaft, zeigt der Vergleich mit den Universitäten der damaligen westlichen Besatzungszonen.

Der bekannte westdeutsche Germanist Walter Jens berichtet darüber in seiner Geschichte der Tübinger Gelehrtenrepublik: „Unter all den grandiosen und schauerlichen, den bewegenden und den Angst erregenden Dokumenten des Tübinger Universitätsarchivs sind die Protokolle aus der Ära nach 1945 die gespenstischsten: Also ob nichts geschehen sei! Kein Stalingrad und kein Auschwitz, keine eugenische Sterilisation und keine wissenschaftliche Nobilitierung des Antisemitismus! ... Nichts davon! Keine Trauerarbeit, kein Eingeständnis der Schuld, keine Bestandsaufnahme, keine vom Geist der Gewissenserforschung bestimmte Selbstreflexion, keine Aufarbeitung einer Geschichte, die längst entschieden war, als sie, 1933, scheinbar begann.“(2)

Um bei uns das gewaltige, risikovolle in Neuland vorstoßende Aufbauwerk gegen die ständigen Attacken des Gegners abzuschirmen, der allein aus Leipzig 46 Wissenschaftler der Universität zwangsweise in die westlichen Besatzungszonen überführte, bedurfte es - ich zitiere unseren „Hervorragenden Wissenschaftler des Volkes“, Walter Markov, nach Selbstbefreiung aus 10jähriger politischer Kerkerhaft auch einer der Mitgestalter dieser kampferfüllten Zeit,

„freilich starker Hände: der Arbeiterklasse unter Führung ihrer Partei und der Erfahrung sowjetischer Genossen. ... Sie hielten über uns ihren schützenden Schild ..., über ein Land, dessen faschistische Invasionstruppen sie soeben erst im schweren Ringen - nicht irgendwo, sondern vor Moskau und Stalingrad - hatten zurückschlagen müssen.“(3)

Wer könnte von uns das Wirken des Leiters der Abteilung Volksbildung der SMAD, Generalleutnant Prof. Solotuchin, vor dem Großen Vaterländischen Krieg Rektor der Universität Leningrad, von Generalmajor Prof. Tjulpanow, unserem späteren Ehrendoktor, oder der sowjetischen Kulturoffiziere vergessen, die - wie Major Patent - mit ihren hochqualifizierten Vorträgen die Überlegenheit des Marxismus-Leninismus demonstrierten und damit Breschen in das Monopolgehege bürgerlicher Ideologie schlugen.

Ohne die Pionierrolle der UdSSR für den Menschheitsfortschritt, ohne ihre opferreiche antifaschistische Befreiertat für das deutsche Volk, ohne ihren entscheidenden Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens und ohne den hohen Entwicklungsstand ihrer Wissenschaft, mit der uns enges und vertrauensvolles Zusammenwirken verbindet, sind unsere Erfolge undenkbar.

So grüßen wir von diesem Festakt aus, inmitten unserer Vorbereitung auf den 40. Jahrestag der Befreiung, unsere sowjetischen Freunde und Genossen und knüpfen daran das Versprechen, daß auch wir die deutsch-sowjetische Freundschaft wie unseren Augapfel hüten werden.

Hochgeehrte Anwesende!

Am 5. Mai 1953 wurde in der Kongreßhalle – im Beisein von Genossen Prof. Kurt Hager – der bis dato namenlosen Leipziger Universität ob der Leistungen, nach dem sie sich in den Strom der Weltgeschichte eingereiht hatte, der Name Karl Marx verliehen.

Seine wohl erregendste Ansprache in Ausübung des 14jährigen Rektoramtes schloß Georg Mayer, wegen seines herausragenden wissenschaftspolitischen Formats und des Zaubers seiner Persönlichkeit von allen Angehörigen der Universität tief verehrt, mit den Worten:

„In dieser feierlichen Stunde, da die Universität Leipzig als Karl-Marx-Universität in den Kreis ihrer Schwestern tritt, verneigen wir uns in Ehrfurcht vor dem Genius Karl Marx.

Die Größe des Mannes und seiner Leistung mehr ahnend als ermessend, fühlen wir uns von der Wahrheit des Wortes durchschauert: „Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk.“ (4)

So nahm die Karl-Marx-Universität gut gerüstet den Weg ihrer sozialistischen Umgestaltung auf.

Nachdem der faschistische Schutt weggeräumt war, wurde der Blick auch frei auf ihre weit in die internationale Geistes- und Kulturgeschichte reichenden Spuren, und zwar ganz im Sinne Johannes R. Bechers, daß der Aufbau des Sozialismus nicht nur die Gegenwart erschüttert und umschafft, sondern mit jedem Spatenstich in die Gegenwart Vergangenes aufgräbt und Gelände freilegt für den Blick in die Zukunft.

Aber war es denn für die Wissenschaft, die ihrem Wesen nach dem Neuen zugewandt sein und sich stets reproduzieren muß, wenn sie sich selbst treu bleiben will, überhaupt legitim oder produktiv Vergangenes aufzugraben?

Die Genese unserer Alma mater - älteste des Landes, deshalb besonders geschichtsträchtig, und geradezu ein Lehrbeispiel für die Dialektik des Geschichtsprozesses - gibt darauf eindeutig Antwort. Denn befragt vom Standort der Universität im Sozialismus erschließt sich uns eine immense Spannbreite progressiver Traditionen, die für unsere sozialistische universitas litterarum einfach unverzichtbar sind, weil sie Kraftquell darstellen für Leistungen von heute und morgen, aber auch weil sie uns Anhaltspunkte geben hinsichtlich der in dem Erich Honecker-Wort enthaltenen Mahnung, „daß der Sozialismus ... größere Möglichkeiten für die Effektivität der Wissenschaft bietet, als bisher ausgeschöpft wurden ...“. (5)

Da war – im Widerstreit mit regressiven Gesellschaftsverhältnissen und einer verkrusteten Universitätsverfassung zum Trotz der hervorragende Beitrag vieler Gelehrter vergangener Generationen zum Erkenntnisfortschritt mit weltweit anerkannten Wirkungen, zur Ausprägung dessen, was eine Universität eigentlich erst zur Universität macht: ihrer Fähigkeit zur Innovation. (6)

- So wurde im Vorfeld der deutschen frühbürgerlichen Revolution die Alma mater Lipsiensis durch Peter Luder und andere mutige Wandermagister sowie deren Zusammenwirken mit den ersten Leipziger Druckern zu einem weithin gerühmten geistigen Fechtboden von Humanisten und Reformatoren, die der feudalen Scholastik den Fehdehandschuh hinwarfen.

In dieser Zeit wurden auch die Universitätsbibliothek und der Hortus medicus, der botanische Universitätsgarten, mit die ältesten ihrer Art in Europa, eingerichtet.

- Auch im Zeitalter der Aufklärung löste unsere Universität im Wettstreit mit Halle und Jena durch Thomasius, Christian Wolff, Gottsched, Gellert oder den Begründer der Kunstwissenschaft, Johann Friedrich Christ, weltweites Echo durch Kampfansage ihrer besten Köpfe an mittelalterliche Gralshüter der Orthodoxie aus.

Die erneut prosperierende Handelsstadt, an der Thomaskantor Johann Sebastian Bach zeitweilig auch das studentische Collegium musicum leitete, wurde nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg zur Wiege des deutschen Zeitschriftenwesens.

Hier erschien 1650 die älteste Tageszeitung der Welt, 1682 die erste deutsche wissenschaftliche Zeitschrift, die Acta Eruditorum, und Gottsched edierte die erste deutsche Frauenzeitschrift und die erste deutsche Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft.

Das fruchtbare Zusammenwirken von Professoren und Verlagen erhob Leipzig zur bedeutendsten Werkstatt wissenschaftlicher Literatur in Europa. Von hier aus fand sie rasch ihren Weg nach Frankreich und Italien, nach Polen und Rußland. Männer waren am Werk, die dem Gedanken der Wissenschaft auch ein verständliches Sprachgewand gaben.

- In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die moderne, zur Herrschaft aufgestiegene Bourgeoisie im Dienste ihrer ökonomischen und politischen Interessen die Säkularisierung der Wissenschaft vorantrieb, erreichte unsere Universität Weltgeltung, begründet durch eine Phalanx von Koryphäen, deren Namen noch heute in den internationalen Zentren der Wissenschaft ungebrochenen Klang haben.

Heben wir einige heraus:

Die Germanisten Moritz Haupt, Eduard Sievers, der Slawist August Leskien und andere berühmte Sprachwissenschaftler verschafften der Universität mit ihren philologischen Forschungen Weltruf.

Der Orientalist Heinrich Leberecht Fleischer machte Leipzig zum Mekka der Arabistik seiner Zeit.

Carl Ludwig wurde zum Begründer der modernen naturwissenschaftlichen Physiologie, der berühmtesten „Physiologen-Schule“ des vorigen Jahrhunderts.

Karl Sudhoff schuf das erste Forschungs- und Lehrzentrum in der Welt auf dem Gebiete der Geschichte der Medizin.

Wilhelm Wundt, zu dessen Gedenken hier 1980 der Weltkongreß der Psychologen tagte, wurde zum geachteten Vater der experimentellen Psychologie, dessen Schüler weltweit Über 100 Lehrstühle besetzten.

Und Wilhelm Ostwald antwortete 1887 dem Sächsischen Kultusminister auf die Frage, ob er die Berufung auf den einzigen deutschen Lehrstuhl für physikalische Chemie annehme; „Es ist, als ob Sie einen Unteroffizier fragen, ob er General werden will.“ Er wurde es auf seine Weise: der erste Nobelpreisträger der Universität.

Und trotz vieler Mißstände, wie sie 1742 in der Eingabe eines Magisters an den sächsischen Kurfürsten unter dem Titel „Thränen und Seuffzer wegen der Universität Leipzig“ überliefert sind, war unsere Hohe Schule zumeist eine der bestbesuchten Mitteleuropas.

Die stärksten Forscherpersönlichkeiten waren zugleich weithin gerühmte Hochschullehrer, deren Ruf Studenten zuhauf zum Studium Lipsiense zog. Unter ihnen Thomas Müntzer, Georg Agricola, Leibniz, Christian Wolff, Georg Philip Telemann, Klopstock, Lessing, Goethe, Jean Paul, Fichte, Robert Schumann, Richard Wagner, Franz Mehring, Karl Liebknecht oder Hermann Duncker. (7)

Sie zog es in eine Stadt, die sich seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts rasch zu einer Metropole des Bürgertums entfaltete und in der neben der Messe auch die Musen hoch im Kurs standen.

Der junge Lessing sah sie „als ganze Welt in nuce“, und Goethe, sein „Klein-Paris“ Erlebnis in der bekannten Szene des „Faust“ verarbeitend, sprach von Leipzig „als dem Marktplatz Europas“.

Kein Wunder, daß dieserhalb die Universität auch ein starker Anziehungspunkt für ausländische Studierende war. Im Wintersemester 1910 gab es an ihr nach offizieller Statistik 2507 Sachsen und 2393 Nichtsachsen, 588 von ihnen kamen aus 17 europäischen Staaten, die meisten aus Rußland, und 46 aus Amerika und Asien.

Viele äußerten sich voller Hochachtung über ihre Professoren und trugen deren Lehren in ihre Heimatländer. Aber sie bekamen auch tagtäglich die Erniedrigungen zu spüren, mit denen das herrschende Regime die ihm nicht Genehmen bedachte, insbesondere seit es mit dem Übergang zum Imperialismus auf Kolonialkurs gegangen war.

Wie schrieb doch der Chef des deutschen Generalstabes, von Hindenburg, in einer Denkschrift am 24. Januar 1918, man bedenke, noch mitten im ersten Weltkrieg: „Um für künftige Kriege unsere wirtschaftliche und technische Überlegenheit zu erhalten, halte ich es für erforderlich, daß Ausländer in Zukunft von den deutschen Universitäten ... im wesentlichen ferngehalten werden. Wir dürfen unsere früheren Fehler nicht wiederholen.“ (8) Welche Menschenverachtung und welche Kriegswütigkeit spricht aus diesen Worten!


Meine Damen und Herren, liebe Freunde!

Haben wir bisher von den wissenschaftlichen Leistungen der Leipziger Universität gesprochen, die in der Welt mit ihrem Ruf als Arbeitsuniversität hoch geachtet war, so darf zugleich bestätigt werden, daß an ihr von akademischer Abschirmung vor der wirklichen geschichtlichen Bewegung keine Rede sein konnte.

Gleich den Humanisten, die in fingierten „Dunkelmännerbriefen“ eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der spätscholastischen Welt führten, ergriffen später Magister und Scholaren, sich offen als „Sansculotten“ bezeichnend, für die Große Revolution der Franzosen Partei.

In der Revolution von 1848/49 kämpften die besten Professoren und Studenten für die Sache des Fortschritts. Die nach der Novemberrevolution gebildete Kommunistische Studentengruppe begann die Wahrheit über die weltgeschichtliche Bedeutung des Roten Oktober zu verbreiten.

Und durchdrungen vom Geist kämpferischer Humanitas leisteten in der Nacht des Faschismus mutige Wissenschaftler und Studenten heldenhaften Widerstand gegen das verbrecherische Regime.

Diese und viele andere unvergessene Taten in der Geschichte unserer Hohen Schule sind ein beredtes Zeugnis progressiver Universitätstradition, vollbracht hier in dieser Stadt, die zugleich eine Hochburg der revolutionären deutschen und internationalen Arbeiterbewegung war; in die ein Robert Blum und Lassalle, ein Bebel und Liebknecht, Rosa Luxemburg und Franz Mehring, Julian Marchlewski, Georgi Dimitroff und gar Lenin ihre Spur gezeichnet haben.

Aber es sei auch fern von uns, das überkommene universitäre Erbe mit einem Glorienschein zu umgeben.

Bei weitem nicht immer vollzog sich. Politik und Wissenschaft an der Universität synchron mit dem konkreten Fortschritt der Epoche.

Und so vergessen wir keinen Augenblick, daß in der Klassengesellschaft mit dem ihr eigenen Antagonismus von Geist und Macht die Universität neben Glanz viel Elend, neben Größe auch Ohnmacht, neben Liebenswürdigem auch Absurdes und in der Zeit der Braunen Pest, die humanistische Wissenschaftler und Studenten relegierte, verfolgte und ermordete, in einigen Disziplinen die Perversion jeglicher Universitätsidee und Verrat am humanistischen Auftrag der Wissenschaft verkörperte.

Also auch schwerwiegend Negatives steht zu Buche, das erst mit dem Sozialismus, mit der Befreiung der Wissenschaft aus den Fesseln reaktionärer Klassendominanz, politisch und geistig überwunden werden konnte, aber das wir weder der Vergessenheit anheim fallen lassen noch verharmlosender Interpretation unterwerfen; - so wie Bertolt Brecht die Studenten eindringlich mahnte:

„Was immer Ihr erforscht einst und erfindet

Euch wird nicht nützen, was Ihr auch erkennt!

So es Euch nicht zu klugem Kampf verbindet

und Euch von allen Menschenfeinden trennt.“


Sehr geehrtes Auditorium!

Wenn wir soeben die Historie einer Universität, die Geschichte gewissermaßen auf kleinstem Raum, aufgerufen haben, weil der * Gedanke sich einzureihen in eine mehrhundertjährige Linie des Ringens um wissenschaftliche Welterkenntnis das Gefühl der Verantwortung für unser Land ungemein stärkt, so sind wir uns natürlich auch bewußt, daß sich der Gegenwartswert von Wissenschaft nicht an ihrer Kollektion von Lorbeerkränzen mißt.

Darum steht die Frage: Wie sind nun wir, Wissenschaftler und Studenten, Arbeiter und Angestellte, Ärzte und Schwestern einer Universität im und für den Sozialismus unserer Verantwortung gerecht geworden?

Welche Leistungen hat die Karl-Marx-Universität aufzuweisen, welche Traditionen hat sie ausgeprägt, seit mit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik das sozialistische Kapitel ihrer Geschichte aufgeschlagen wurde?

Nehmen wir das Fazit dieser 35 Jahre vorweg: Das entscheidend Neue, das unsere Universität unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei vollbrachte, besteht darin, daß sie sich nicht vereinzelt, sondern in ihrer Gesamtheit, einen einheitlichen Willen verkörpernd, konsequent in den Dienst des Menschheitsfortschritts, des Friedens und der Völkerverständigung stellte, daß sie Zug um Zug und mit wachsender Leistungskraft ihre volle Integration in die ausbeutungsfreie, menschenwürdige sozialistische Gesellschaft verwirklichte und diese aktiv mitgestaltend erstmals in ihrer Geschichte zu wahrer Identität fand.

Die Markierungspunkte auf diesem revolutionären Weg wurden und werden durch die strategischen gesamtgesellschaftlichen Entscheidungen der Parteitage der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und in sie eingebettet durch ihre wissenschafts- und hochschulpolitischen Beschlüsse gesetzt, deren Kontinuität, Weitsicht und Dynamik sich immer aufs Neue als zuverlässiger Kompass erweisen.


Befragt man den Tatwillen unserer Universität in den 35 Jahren DDR nach seinen auffälligsten Manifestationen, so lassen sich drei Wirkungsfelder abheben, die in mannigfaltiger Wechselwirkung stehend mit progressierender Leistungskraft in die Gesellschaft eingreifen und von ihr wie von der Entwicklung der Wissenschaft selbst die grundlegenden Impulse und Orientierungen empfangen.

So ist das wertvollste und edelste Ergebnis all unserer Mühen, die vorderste Front unserer gesellschaftlichen Verantwortung, die Heranbildung von Absolventen und wissenschaftlichen Nachwuchskräften zu allseitig gebildeten, der Arbeiterklasse und ihrer Partei eng verbundenen, kulturvollen sozialistischen Persönlichkeiten mit einem Qualifikationsprofil, das sie befähigt, ihr Wissen und Können mit optimaler Effizienz einzusetzen.

Annähernd 100 000 Hoch- und Fachschulstudenten in 43 Grundstudienrichtungen haben seit 1949 an der Karl-Marx-Universität ihre Ausbildung erfahren. Das sind 35 Absolventenjahrgänge, von denen hervorragende Repräsentanten unserer sozialistischen Gesellschaft an unserem Festakt teilnehmen.

Mit Ihnen, die den guten Ruf der Karl-Marx-Universität als bewährte Kaderschmiede des Sozialismus durch eigene beispielgebende Arbeitstaten in die Lande tragen und uns - wie unser Minister, Gen. Prof. Böhme - zu immer höheren Leistungen herausfordern, fühlen wir uns an diesem Jubiläumstage besonders eng verbunden.

Vielfältig waren die Anforderungen, die in Erfüllung des sozialistischen Erziehungs- und Bildungsauftrages bewältigt werden mußten und die im Hinblick auf die Dynamik der Gesellschafts- und Wissenschaftsentwicklung immer erneut zu durchdenken und zu bestimmen sind.

Da vollzog sich in streitbarer, schöpferischer Atmosphäre die massenhafte Aneignung des Marxismus-Leninismus im Alltag unserer Hohen Schule, wurde die revolutionäre Theorie der Arbeiterklasse zur Grundlage und mächtigen Triebkraft ihrer Entwicklung. Bleibendes, weit über die Universität hinaus Anspornendes wurde bei der Ausprägung dieses Kernstückes unserer neuen sozialistischen Universitätstradition vollbracht. So eroberte sich das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium seit den ersten Vorlesungen im denkwürdigen Herbstsemester 1951 als Studium generale mit grundlegend neuem Inhalt einen festen Platz in der Ausbildung aller Studenten und in der Weiterbildung ihrer Lehrkräfte.

Auch künftig werden wir uns gemeinsam mit dem sozialistischen Jugendverband diesem hohen Anspruch stellen; denn der reife Sozialismus verlangt erst recht revolutionäres Bewußtsein und Klassenhaltung seiner Erbauer, und die Methode der Marxschen Theorie wird zusammen mit fachlicher Meisterschaft immer unentbehrlicher für Absolventen, die die zunehmende Komplexität der gesellschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Entwicklung zu bewältigen und die Wissenschaft in das nächste Jahrtausend zu tragen haben.

Zu den qualitativ neuen Merkmalen der sozialistischen Universität gehört mit Sicherheit auch das schöpferische Studieren.

Die vorwiegend rezeptive Wissensaufnahme wurde durch eine akademische Lehre ersetzt, die es immer besser versteht, den Studenten das grundlegende theoretische, empirische und methodische Rüstzeug zu vermitteln, sie problemorientiert mit neuen Prägen der Praxis und der Wissenschaft vertraut zu machen, sie aktiv in die Lösung von Forschungsaufgaben einzubeziehen; und das alles zu dem Zweck, ihren Verstand so zu schärfen, daß er aufnahmebereit wird für die ständig wachsenden Forderungen der sozialistischen Gesellschaft.

Allein in diesem Studienjahr sind 8 000 unserer Studenten am wissenschaftlichen Wettstreit zur Lösung von Forschungsaufgaben beteiligt. Das vor allem macht für sie - neben der Vorbildwirkung der besten Hochschullehrer – die Universität ganz persönlich erlebbar und über die Universitätsjahre hinaus unvergeßlich.

Und auf dieser breiten Grundlage stellen wir uns auch konsequenter der differenzierten Förderung von besonderen Begabungen, braucht doch der Sozialismus junge wissenschaftliche Spitzenkräfte in großer Zahl, die die Stärken der jungen Wissenschaftler-Generation voll zur Geltung bringen.

So meine ich schon, daß die Feststellung berechtigt ist: Noch niemals in der deutschen Universitätsgeschichte hat es eine so intensive Hinwendung zum Studenten gegeben, noch niemals ein solches – ihr gesamtes Antlitz prägendes – partnerschaftliches Verhältnis zwischen Magister und Scholar, ausgelöst durch die Einheit von revolutionärer Theorie und lebendiger, in sozialistischer Gesellschaft fest verwurzelter Universitätspraxis. (9)

Und wir wollen – angesichts von Hunderttausenden arbeitslosen Akademikern in der Welt des Kapitals – auch nicht vergessen, daß erst der Sozialismus allen Immatrikulierten ein Studium in völliger sozialer Sicherheit und einen gesicherten Absolventeneinsatz ermöglicht. Das ist unseren Studenten längst eine Selbstverständlichkeit - aber sie ist es eben nur dank des Sozialismus.

Geht man also der Sache auf den Grund, so fand erst an der sozialistischen Universität die alte Formel „Universitas magistrorum et scholarium“, der große Traum unserer frühen Humanisten von der Verwirklichung der sozialen und politischen Menschenrechte im Alltag ihrer Hohen Schule uneingeschränkte Erfüllung.

Und dies empfinden auch unsere ausländischen Studierenden mit großer Genugtuung.

Elf Nigerianer, Bergarbeitersöhne, deren Väter der Kolonialrepression zum Opfer gefallen waren, machten 1951 den Anfang.

Elf Studenten, deren Zahl sich auf heute über 20 000 erhöhte, die aus 120 Ländern an unserem Herder-Institut anreisten, um sich hier auf ein Hoch- oder Fachschulstudium vorzubereiten.

2500 ausländische Bürger absolvierten seitdem ein Direktstudium und 400 haben erfolgreich ihre Promotionen verteidigt.

Auch am Ausländerstudium wird der Qualitätsumschlag sichtbar, der mit der Gründung unserer Deutschen Demokratischen Republik vollzogen wurde. Daraus erwuchsen Solidarität, menschliche Wärme, Geborgenheit, natürlich auch hohe Anforderungen für alle ausländischen Studierenden, für die unsere Karl-Marx-Universität das Tor zur Wissenschaft aufgestoßen hat. So ist auch das Ausländerstudium ein untrennbarer Bestandteil unserer neuen sozialistischen Universitätstradition.

Und in diesem Geiste grüße ich die vielen, wie zu einer Kontinente übergreifenden Freundschaftskette mit uns verbundenen ausländischen Absolventen, die heute als Ärzte, Lehrer, Chemiker, Agrarexperten oder Juristen, aber auch als Rektoren oder gar Minister zum Wohle ihrer Heimat arbeiten; und ich grüße die gegenwärtige ausländische Studentengeneration, von der Vertreter aus 65 Ländern an unserem Festakt teilnehmen.


Hochgeehrte Anwesende!

Das Bemühen der Universität, ihren Beitrag zum geistigen Reichtum unserer Gesellschaft durch steigende Qualität von Erziehung und Ausbildung zu erhöhen, wurde von Anfang an im Einvernehmen mit einer Hochschulforschung vollzogen, die dieses Ideal klassischer Universitätstradition auf die Höhe aktueller und künftiger Erfordernisse des realen Sozialismus zu heben suchte.

Geht man der Frage nach, welche Aspekte die wichtigsten Fortschritte in diesem zweiten Wirkungsfeld kennzeichnen, so verdienen die folgenden besondere Hervorhebung:

- Das Ringen um Erkenntnisgewinn, der die heißesten international ausmachbaren Probleme anvisiert, wurde zum bestimmenden Arbeitselement der besten Forscherpersönlichkeiten und ihrer Kollektive. Von den daraus hervorgegangenen profilbestimmenden Entwicklungsrichtungen der Universität seien exemplarisch genannt:

Mathematische Physik, Molekül- und Festkörperphysik, Analytik und Spektroskopie, Immunologie und Enzymologie, Perinatologie und Kardiologie, Züchtungsforschung, Vergleichende Revolutionsforschung, Mediävistik, Erkenntnis-, Sprach- und Literaturtheorie, Kunst- oder Wissenschaftsgeschichte.

- Aber auch die im Antagonismus der Klassengesellschaft wurzelnde Auflösung der klassischen Idee von der Einheit der Wissenschaften durch die Entgegensetzung von Natur- und Gesellschaftswissenschaften wurde beseitigt und ihrer komplexen Zusammenarbeit auf der Grundlage ihrer Gleichrangigkeit erfolgreich der Weg geebnet.

Initialwirkung erzielten hierbei unsere neuen interdisziplinären Zentren, allen voran das Naturwissenschaftlich-Theoretische Zentrum und das für vergleichende Revolutionsforschung.

Und schließlich wurde die Marx'sche Position, daß der theoretische Erkenntnisfortschritt zu realen Veränderungen im praktischen Lebensprozeß führen muß, will er als Produktivkraft wirken, seit dem ersten Vertrag im Jahre 1950 mit dem volkseigenen Betrieb Otto Grotewohl Böhlen, in ganz neuer Dimension zur Geltung gebracht:

- unmittelbar durch hochwertige Überführungsleistungen

- und vermittelt durch die geradezu rasante Entwicklung der Universität zu einem Umschlagsplatz neuer Theorie- und Methodenkonzepte zur Praxis hin und von dieser zurück über die Ausprägung der Weiterbildung, die allein in diesem Studienjahr Ober 100 Lehrgänge anzubieten hat.

Daß das mit ständiger Förderung und Unterstützung der Bezirksleitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands möglich wurde, verdanken wir in hohem Maße allen unseren zuverlässigen Partnern, darunter dem Rat des Bezirkes und der Stadt, den über 40 mit uns kooperierenden Industriekombinaten und Agrarbetrieben, den Wissenschaftlichen Akademien unseres Landes und den anderen Hohen Schulen, von denen die hiesigen im Rat der Rektoren eine sinnvolle Ebene der Zusammenarbeit gefunden haben.

Alle, die sich mit uns zu gemeinsamen Wirken vereinen, können gewiß sein, daß wir uns dem bewährten Grundsatz „universitas cum praxi“ immer von Neuem stellen werden.

- Das dritte Wirkungsfeld erschließt sich uns durch die Selbstverwirklichung der Karl-Marx-Universität als ein weit aus strahlendes geistig-kulturelles Zentrum im Ergebnis eines permanenten Wechselprozesses mit der reichen kulturellen Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft.

Breit ist die Palette des geistig-kulturellen Angebotes unserer Universität.

Sie reicht von unseren als hervorragende Volkskunstkollektive ausgezeichneten Ensembles,

- den jährlich über 3 000 Urania-Vorträgen unserer Wissenschaftler,

- universitäts- und stadtoffenen Vorlesungsreihen,

- dem Veteranenkolleg, das sich des Ansturms der älteren Bürger kaum zu erwehren weiß,

- einer engen Zusammenarbeit mit den Kultur- und Kunstschaffenden,

- bis zu unseren Kunstsammlungen mit weit über 30 000 Exponaten von hohem, mitunter sogar einmaligem, das Erbe der Weltkultur verkörperndem Rang.

Sie, verehrte Gäste, können selbst in Augenschein nehmen, wie sich Geschichte und Gegenwart an unserer altehrwürdigen Alma mater auf Schritt und Tritt begegnen.

Den Weg in den Neubaukomplex, dessen Hochhaus zugleich die Dominante der sozialistischen Großstadt Leipzig ist, begleiten Epitaphien aus dem 16. - 17. Jahrhundert, Moritzbastei und Leibniz-Denkmal, Karl-Marx-Relief an der Stirnwand des Hauptgebäudes und darinnen das Tübke-Gemälde „Arbeiterklasse und Intelligenz“.

Sie alle symbolisieren – in Stein gehauen, aus Erz gegossen, auf die Leinwand des Künstlers gebannt – auf vielfältigste Weise diese Einheit von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukunftsträchtigem; eine Einheit, die sich realisiert in der historischen Dimension all unseres wissenschaftlichen Wirkens.

Und es gibt sicher keinen besseren Anlaß als dieses Jubiläum, um die jüngste Errungenschaft unseres Kunstbesitzes in unserem neuen Ausstellungszentrum vorzustellen: das Porträt Karl Marx. Seinem Schöpfer, Professor Bernhard Heisig, dem es gelungen ist, das Denkerhaupt des größten Sohnes unseres Volkes, so faszinierend zu gestalten, sei herzlich gedankt.


Verehrtes Auditorium!

Wir haben Leistungen unserer sozialistischen Karl-Marx-Universität aufgerufen,

- erbracht von nunmehr bereits drei Gelehrtengenerationen, darunter seit Gründung der Republik 80 Nationalpreisträger und 40 Mitglieder der Akademie der Wissenschaften der DDR;

- erbracht von jungen Kadern der Universität wie der Praxis, die seit 1949 über 14 000 Promotionen verteidigten;

- erbracht von unseren Arbeitern und Angestellten, darunter derzeit über 1 200 Neuerer, an ihrer Spitze das bewährte Zentrale Meisteraktiv;

- erbracht von den über 5 000 Mitarbeitern des Bereiches Medizin, die für ihre aufopferungsvolle Arbeit in der medizinischen Betreuung von den jährlich mehr als eine Million ambulanten und über 40 000 stationären Patienten hoch geschätzt werden;

- erbracht aber auch - und in zunehmendem Maße - durch studentische Forschungsleistungen.

Ihnen allen, den Angehörigen der Karl-Marx-Universität, gilt an diesem Ehrentage unser tiefempfundener Dank.

Und hohe Wertschätzung entbieten wir auch den 158 in- und ausländischen Doctores honoris causa, die den Weg unserer Universität seit der Erneuerung begleiten, und von denen manche, was wir als hohe Auszeichnung empfinden, von weither angereist sind, um durch ihr Dabeisein Verbundenheit mit ihrer Alma mater zu bekunden.


Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Genossen und Freunde!

Jeder von uns, den der Dienst an Gesellschaft und Wissenschaft oft in das Ausland führt, empfindet immer von Neuem:

Der Ruf, den unsere Alma mater in vergangenen Jahrhunderten genoß, wirkt nach und hilft auch in der Gegenwart, manchen Weg zu ebnen.

Aber keiner, der heute von der Leipziger Universität rühmend spricht, tut es nur ob ihrer einstigen Weltgeltung, sondern auch und zunehmend ob ihrer Leistungsfähigkeit in unserer sozialistischen Epoche.

Unsere Partner auf dem internationalen Feld der Wissenschaftskooperation bestätigen es immer wieder.

Vor 25 Jahren unterzeichnete Magnifizenz Georg Mayer unseren ersten Vertrag mit einer ausländischen Universität, mit der Shdanow-Universität der Heldenstadt Leningrad.

Heute verbinden uns Arbeitsvereinbarungen mit 104 Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen in 25 Staaten. Fachexperten der Karl-Marx-Universität sind in wachsender Zahl im Ausland hochgeschätzt.

130 Wissenschaftler unserer Hohen Schule wurden in die Vorstände von 170 internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften und Organisationen gewählt.

Wir sind jährlich Gastgeber von etwa 2 000 ausländischen Wissenschaftlern, und allein in diesem Jahr fanden in Leipzig 80 Symposien mit internationaler Beteiligung statt, darunter drei Kongresse von Weltrang.

Für diese gedeihliche Wissenschaftskooperation - eine wichtige Quelle unserer Leistungsfähigkeit - möchte ich den hier anwesenden Repräsentanten unserer ausländischen Partnerhochschulen im Namen unserer weltoffenen Universität ein herzliches vivat crescat floreat entbieten.

Wir haben in der Welt Vertrauen erworben. Wir erwarben es, weil wir uns den Aufgaben des Sozialismus unmißverständlich stellten und vor allem seiner ersten: der Verteidigung des Friedens.

Vom Himmel gefallen ist er nie und bedroht wird er sein, solange es Imperialismus gibt.

Dennoch haben die Friedenskräfte in beharrlichem Ringen Hasardeure kalter und heißer Kriege dank der weltweiten Erstarkung des Sozialismus in die Schranken gewiesen.

Und wir besitzen die Kraft auch der kaltblütigen Einplanung eines sogenannten machbaren Nuklearkrieges durch Pentagon und Weißes Haus entgegenzuwirken.

Aber dazu muß jeder von uns sie einsetzen, wir die Kraft der Wissenschaft, zum Aufbau einer – wie Genosse Erich Honecker sagte – „weltweiten Koalition der Vernunft und des Realismus“ (10), an der das mörderische Komplott zerschellt. Die Wissenschaft braucht Frieden – der Frieden braucht die Wissenschaft.

Sie, hochgeehrte ausländische Gäste, werden bei jeder Begegnung spüren: Volk und Regierung unseres sozialistischen Staates sind eins im Ziel, im Willen und in der konkreten Aktion, den Frieden, der Menschheit wichtigstes Gut zu schützen.

Auch 500 Friedensforen allein in diesem Jahr an der Karl-Marx-Universität mit 25 000 Teilnehmern stehen dafür als Beweis; als Beweis auch für das Schriftstellerwort:

„Wir brauchen eine Welt, und wir bauen an ihr, in der man keine Stahltrossen durch den Himmel ziehen muß, wenn man Menschen und Häuser, Kinder und Künstler, Fabriken und Denkmäler vor der Vernichtung bewahren will. Wir brauchen eine solche Welt, wir bauen an ihr - alle Bürger dieses Landes ... Von diesem Vorsatz bringt uns niemand ab.“


Hochgeehrtes Auditorium!

Ich habe Wirkungsfelder unseres wissenschaftlichen Tuns nachgezeichnet und vielfältig Dank bekundet, wohl wissend, daß der Karl-Marx-Universität aufgegeben ist, ihren erfolgreichen Weg nicht schlechthin fortzuführen, sondern mit Blick auf den XI. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands Leistungen von solchem internationalem Format zu vollbringen, die nach Komplexität und Reichweite ohnegleichen sind in ihrer langen und bewegten Geschichte.

Wir werden sie meistern.

Dafür spricht unser Leben im und für den Sozialismus. Aus diesem entscheidenden Formationsvorzug erwächst immer erneut starke Motivation für schöpferische wissenschaftliche Arbeit, nicht nur die Pflicht, sondern auch die innere Bereitschaft und Freude, den humanistischen Auftrag Gelehrter vergangener Generationen durch zeitgemäße Leistungen für unsere ureigenste Sache fortzuführen.

Dafür wirkt das Bündnis von Arbeitermacht und Wissenschaft, heute fester und reicher denn je und der Nährboden unseres Weges in die kommunistische Zukunft.


Und dafür steht im Bewußtsein unserer großen Wissenschaftstradition und ihres gesellschaftlichen Auftrages das Kollektiv unserer jüngst mit dem Karl-Marx-Orden hoch geehrten Universität, geführt von 5 800 Kommunisten und verbunden mit vielen Freunden in aller Welt.

In diesem Sinne bekunden wir unseren festen Willen:

All unsere Kraft für die gute und richtige Politik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, all unser Wissen und Können für die weitere umfassende Stärkung des Sozialismus in unserem Vaterland, alles uns Mögliche für den Frieden und eine glückliche Zukunft der Völker.

Anmerkungen

1 Siehe: Namhafte Hochschullehrer der Karl-Marx-Universität, Band 1-6, Leipzig 1982-1984.

2 Jens, W., Eine deutsche Universität. 500 Jahre Tübinger Gelehrtenrepublik, 5. Auflage, München 1977.

3 Markov, W., Rede auf der Festveranstaltung der Karl-Marx-Universität zum 31. Jahrestag der DDR, Manuskript.

4 Leipziger Universitätsreden, Neue Folge, Heft 1. 1958.

5 Rede E. Honeckers auf der Internationalen Wissenschaftlichen Konferenz des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands „Karl Marx und unsere Zeit - der Kampf um Frieden und sozialen Fortschritt“, Dresden 1983, S. 26.

6 Siehe: Alma Mater Lipsiensis. Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1984.

7 Siehe: Berühmte Leipziger Studenten, Leipzig-Jena-Berlin 1984.

8 Zentrales Staatsarchiv, Reichswirtschaftsministerium, Akte 7604/15 „Zulassung von Ausländern zum Studium an deutschen Hochschulen“ (Bl. 5), Auf Bl. 24 unterstützt General

Ludendorff diese Forderungen. Über diese Forderungen gab es eine Diskussion auch mit dem preußischen Kultusministerium und im Ergebnis eine „Richtlinie für das Studium der Ausländer an einheimischen Hochschulen“ (Bl. 23/24).

9 Siehe auch: Bergner, D. Universitas litterarum heute. In: Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 1978/7 (T 22)

10 Ebenda.

11 Aus dem Bericht des Politbüros an die 9, Tagung des Zentralkomitees der SED. In: Neues Deutschland, 23.11.1984.