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CHIFFRIERTES FERNSCHREIBEN

 

Absender: 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig

Vertraulichkeitsgrad :

- GVS Nr. ZK

- VVS Nr. ZK

— Parteiintern

— ohne Vertraulichkeitsgrad _

— Vertraulichkeitsgrad gilt bis

 

Empfänger: Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED, Genossen Egon Krenz

 

Werter Genosse Egon Krenz!

 

Entsprechend Deines Auftrages übermittle ich Dir den Plan zur Gewährleistung einer hohen politischen Aktivität, der staatlichen Sicherheit und öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Vorbereitung und Durchführung des 40. Jahrestages der DDR und zur offensiven Bekämpfung und Zurückdrängung antisozialistischer Aktivitäten und Gruppierungen im Leipziger Stadtzentrum.

 

Das Sekretariat der Bezirksleitung hat eine Einschätzung der aktuellen Lage vorgenommen und alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet, um mögliche Provokationen im Keime zu ersticken. Dazu wurden Einsatzkonzeptionen erarbeitet zur Absicherung der Schwerpunkte in der Leipziger Innenstadt, besonders im Bereich der Nikolaikirche, der Thomas- und Reformierten Kirche.

 

Bei der Beurteilung der Lage geht das Sekretariat davon aus, daß konterrevolutionäre Kräfte nicht nur im Bereich dieser Kirchen, sondern auch außerhalb zu Demonstrationshandlungen übergehen.

In den Einsatzkonzeptionen wird berücksichtigt, daß das Stadtzentrum Leipzigs erhöhte Bevölkerungsbewegungen und eine Spezifik in der Straßenführung aufweist. Auf dieser Grundlage beruhen alle Maßnahmen zur Zerschlagung formierter negativer

Gruppierungen.

 

FS-Nr. vom 5. 10. 1989  Dringlichkeit: L u f t

Ag 220 - Bestell-Nr. 10 15

 

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Ausgehend von dieser Lageeinschätzung wurde veranlaßt:

 

1. Auf der Grundlage des Beschlusses des Sekretariats der Bezirksleitung vom 27.9.1989 ist die offensive politische Massenarbeit durch

 

- die weitere Mobilisierung aller Kommunisten sowie die umfassendere Ausprägung von Treue zur Partei, Standhaftigkeit und hoher Einsatzbereitschaft,

 

- die Festigung unerschütterlicher staatsbürgerlicher Haltungen bei allen Bürgern,

 

- die Entlarvung und Bloßstellung bekannter feindlich-negativer Kräfte zur Unterbindung weiterer provokatorischer Handlungen und

 

- die Verstärkung der politischen Arbeit in den Einheiten der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, im Sinne ihres Gelöbnisses zu handeln,

 

mit hoher Wirksamkeit fortzusetzen.

 

Der Einsatz der Genossen des Bezirks- und Stadtparteiaktivs, der hauptamtlichen Parteiarbeiter, Mitarbeiter der staatlichen Organe und Massenorganisationen in Betrieben und Einrichtungen, vor allem an der KMU, den Hoch- und Fachschulen sowie Schulen, Betriebsberufsschulen und Ausbildungsstätten und in den städtischen Wohngebieten, ist unter Führung der Sekretariate der Stadt-, Stadtbezirks- und Kreisleitungen konsequent abzusichern.

 

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Am Montagfrüh, dem 9.10.1989, sind in allen Parteiorganisationen Leitungssitzungen durchzuführen, wo die Dokumente und Reden des Generalsekretärs des ZK der SED, Genossen Erich Honecker, sowie weiterer führender Genossen und der Vertreter von Bruderparteien sofort auszuwerten sind.

Auf dieser Grundlage ist eine breite Aussprache in den Arbeitskollektiven und Wohngebieten zu entwickeln. Dazu ist der Einsatz leitender Kader, der Agitatoren und Propagandisten zu beschließen.

 

Gleichzeitig ist die unverzügliche Auswertung dieser Dokumente zum 40. Jahrestag der DDR durch alle Gewerkschafts- und FDJ-Leitungen in den Arbeitskollektiven, Jugendbrigaden und Jugendforscherkollektiven und anderen zu organisieren.

 

2. Durch die Sekretariate der Stadt-, Stadtbezirks- und Kreisleitungen sind eigenverantwortlich Festlegungen zu treffen zur Sicherung der Betriebe und Einrichtungen.

Das erfordert die konsequente Durchsetzung der Betriebsordnungen, der Brandschutz- und Sicherheitsvorschriften sowie die Gewährleistung einer hohen Wachsamkeit.

Ferner ist zu sichern, daß eine stabile Versorgung der Bevölkerung mit Elektroenergie, Wärme und Waren des Grundbedarfes erfolgt sowie die gesundheitliche Betreuung der Bürger gegeben ist.

 

3. Es ist zu veranlassen, daß die Objekte der Partei, der staatlichen Organe, der gesellschaftlichen Organisationen sowie der LVZ und des Senders Leipzig verstärkt gesichert und die Arbeitsfähigkeit der Apparate gewährleistet werden. Dazu sind die erforderlichen Kontrollmaßnahmen durchzuführen.

In gleicher Weise sind Maßnahmen festzulegen, um zu den Volksfesten und Veranstaltungen anläßlich des Nationalfeiertages Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten.

 

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4. Die Einsatzleitungen und Koordinierungsgruppen haben entsprechend der Lage ihre Verantwortung wahrzunehmen.

Die 1. Sekretäre als Vorsitzende der Einsatzleitungen bzw. Koordinierungsgruppen veranlassen durchgängig das Diensthabenden-System für die Einheiten der Kampfgruppen vom 6.10. bis 10.10.1989.

 

5. Mit dem Ziel der vorbeugenden Verhinderung negativ-feindlicher Handlungen von Kräften des politischen Untergrundes im Bereich der Leipziger Innenstadt (Schwerpunkt Nikolaikirche, Thomaskirche und Reformierte Kirche) sind Mitglieder der Partei in Größenordnungen zum Einsatz zu bringen, die das Auftreten konterrevolutionärer und rowdyhafter Elemente ausschließen.

 

Dazu sind am 9.10.1989 - 15.00 Uhr - aus dem Stadtparteiaktiv, dem sozialistischen Jugendverband, der Gewerkschaft 5.000 Partei-, FDJ- und Gewerkschaftsmitglieder auf dem Vorplatz der Nikolaikirche zu formieren.

 

Bei diesem Einsatz ist zu sichern, daß mit Öffnung der Nikolaikirche zum "Gebet" sofort 2.000 Parteiaktivisten im Innenraum Platz nehmen und der Zugang negativer Kräfte weitgehend eingeschränkt wird.

Die Mitglieder der Partei und FDJ, die nicht im Kircheninnenraum Platz finden, übernehmen den Auftrag, die Formierung negativer Kräfte auf dem Kirchvorplatz zu verhindern.

 

Es ist eine Reserve von 500 Genossen zu schaffen, die bei beabsichtigten Veranstaltungen in der Thomas- und Reformierten Kirche sofort zum Einsatz kommen kann.

 

Die Formierung der Kräfte erfolgt auf der Grundlage eines detailierten Planes ab 9.10., 5.00 Uhr.

 

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Durch das Sekretariat der Stadtleitung werden Genossen namentlich ausgewählt und auf einen möglichen Dialog während der Veranstaltungen in den Kirchen gezielt vor-

bereitet und für ihr Auftreten befähigt.

Dazu ist das Zusammenwirken mit der Kreisleitung der Karl-Marx-Universität zu organisieren, um wissenschaftlich aus-gebildete Persönlichkeiten in die Dialogführung mit einzubeziehen.

 

Die Formierung des Stadtparteiaktivs erfolgt unter Verantwortung des 1. Sekretärs der Stadtleitung Leipzig im Zusammenwirken mit den 1. Sekretären der Stadtbezirksleitungen, unter Einbeziehung der Bezirksparteischule, der

Karl-Marx-Universität, der anderen Hoch- und Fachschulen, der Kreisleitung Leipzig-Land, der Apparate der Partei, der staatlichen Organe und Massenorganisationen.

 

Der Einsatzplan für das Stadtparteiaktiv ist dem 2. Sekretär der Bezirksleitung bis zum 6.10.89. 12.00 Uhr, vorzulegen.

 

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6. In Verantwortung des Sekretärs für Agitation/Propganda der Bezirksleitung ist in der Bezirksausgabe der LVZ am 9.10.89 ganzseitig zur Lage im Zusammenhang mit dem Auftreten antisozialistischer Kräfte im Stadtzentrum Leipzigs prinzipiell Stellung zu nehmen. Dieser Standpunkt wird in Form der Erklärung der Stadtverordnetenversammlung, die am 29.9.89 beschlossen wurde, dargestellt. Dazu nimmt der Oberbürgermeister Stellung.

 

Gleichzeitig ist überzeugend und emotional der antisozialistische Charakter dieser Machenschaften der negativ-feindlichen Kräfte zu entlarven und die Staatsfeindlichkeit von Gruppierungen sowie Einzelpersonen herauszuarbeiten.

Dazu ist Bildmaterial über das brutale Vorgehen gegen Angehörige der Schutz- und Sicherheitsorgane sowie ein Gerichtsbericht über den am 2.10. angefallenen und abgeurteilten, siebenfach vorbestraften Provokateur zu veröffentlichen.

 

7. Der Vorsitzende des Rates des Bezirkes, Genosse Opitz, und

sein Stellvertreter für Inneres, Genosse Reitmann, sowie der Oberbürgermeister, Genosse Seidel, werden beauftragt. in den ab 5.10.89 stattfindenden Gesprächen mit dem Landesbischoff der Evangelischen Kirche Sachsens Hempel nachdrücklich die

Forderung geltend zu machen, dem sogenannten Friedensgebet sofort einen theologischen Inhalt zu geben.

Unmißverständlich ist dem Bischoff der offizielle Standpunkt des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes zur Kenntnis zu geben, daß bei Nichtbeachten der gegebenen Hinweise die weitere Durchführung derartiger Veranstaltungen untersagt wird.

 

8. Die Leiter der Schutz- und Sicherheitsorgane haben ihre abgestimmte Einsatzkonzeption dem 2. Sekretär der Bezirksleitung zur Bestätigung vorzulegen, einschließlich des Einsatzes von Einheiten der Kampfgruppen der Arbeiterklasse.

 

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Der 2. Sekretär der Bezirksleitung unterbreitet dem Generalsekretär des ZK der SED den Vorschlag, am 9.10.89 in der Stadt Leipzig zur Unterstützung der Schutz- und Sicherheitsorgane 8 Hundertschaften der Kampfgruppen der Arbeiterklasse (in Uniform) zum Einsatz zu bringen.

 

9. Durch den Sekretär für Agitation/Propaganda der Bezirksleitung ist zu veranlassen, daß durch das Fernsehen der DDR und die Presseorgane des Bezirkes antisozialistische Demonstrativhandlungen am 9.10.89 dokumentiert werden.

 

Mit sozialistischem Gruß

 

H. Hackenberg

2. Sekretär