aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (11544)

geschrieben am 08. November 2006 02:13:48:

Zum Begriff des Paulinervereins

Da immer wieder fälschliche Bezeichnungen auftauchen und kaum zwischen der Bürgerinitiative zum Wiederaufbau und dem Universitätssängerverein zu St. Pauli unterschieden wird, möchte ich an dieser Stelle nur einmal als kurze Reminiszenz einen Beitrag aus dem "Führer durch die musikalische Welt" - Leipzig - von Bartholf Senff von 1868 (Seite 59/60) in Erinnerung rufen:

Dieser oft und mit Recht gerühmte Verein, gemeinhin der Pauliner-Verein genannt, hat seinen Statuten gemäß den doppelten Zweck:

a) sich in dem Gesange zu vervollkommenen, b) academische Feierlichkeiten durch seine Mitwirkung zu erhöhen“.

Er wurde am 4. Juli 1822 durch den damaligen Organisten an der Paulinerkirche, Gotthelf Traugott Wagner (+ 20. Mai 1832), gegründet, zählte ursprünglich nur 16, meist der theologischen Facultät angehörende studentische Mitglieder, und hatte die Bestimmung, mittelst Vorträgen von Motetten, die regelmäßig alle vierzehn Tage in der Universitätskirche, außerdem aber an besonderen Universitätsfesttagen (Einführung des neuen Rectors sc.) abzuhalten waren, die academichen Feierlichkeiten zu unterstützen und zu heben, sowie auch die Responsorien mit dem Geistlichen auszuführen. Der Verein entwickelte sich zu einer solchen Bedeutung, daß ihm bereits am 4. März 1825 von Seiten der Universität drei Freistellen im Convict, später von Seiten, des Sächsischen Ministeriums eine Unterstützung von jährlich 50 Thalern zugestanden wurden. Der Nachfolger Wagner’s war der Organist Carl Friedrich August Geißler, welcher, am 9. August 1832 als solcher verpflichtet, gleichzeitig das Amt des Dirigenten des Vereines übernahm. Unter dessen Leitung entfaltete sich anfänglich letzterer in erfreulichster Weise weiter, leider aber verminderte sich die Betheiligung der Commilitonen nach und nach in dem Grade, daß im Jahre 1842 und 1843 sogar der Fortbestand des Vereins, indem er nur noch 12 Mitglieder zählte, in Frage kam. Da wurde ihm zur rechten Zeit, am 1. Juli 1843, in der Person Hermann Langer’s (geb. am 6. Juli 1819 in Höckendorf bei Tharand und in den Verein am 5. August 1840 aufgenommen) ein neuer Dirigent zu Theil, dessen Eifer und Beharrlichkeit es zu danken ist, daß der Pauliner-Verein einen vorher nie gehabten Aufschwung nahm und sich nicht nur zum künstlerisch bedeutendsten Männergesangvereine Leipzigs, sondern auch zu einem der trefflichsten in Deutschland überhaupt emporarbeitete. Seit dieser Zeit bis jetzt hat der Verein, unter der Leitung jenes ruhmvollen, mit aller Frische des Geistes noch immer sich bethätigenden Mannes die besten Erscheinungen auf dem Gesammtgebiete des Männergesangs in den Kreis seines Studiums herbeigezogen und oft die Beweise seiner vortrefflichen Leistungen an den Tag gelegt. So namentlich in dem Concerte, welches er alljährlich im Saale des Gewandhauses unter größter Theilnahme des Publicums zu veranstalten pflegt, so bei jeder Gelegenheit, wo es gilt, im Gewandhausconcert künstlerische Interessen, im Leben der Allgemeinheit außerdem wohlthätige Zwecke zu fördern. Denn wo jene und wo diese in Frage kommen, da hat er immerdar bereitwillig hülfreiche Hand geleistet.

Aus den inneren Erlebnissen des Vereins gestatten wir uns einen Abend glücklichen Beisammenseins der Mitglieder besonders hervorzuheben. Es ist der Abend des 6. September 1834. Er galt zunächst der nochmaligen Einübung der Cantate von Drobisch „Lobsingt dem Herrn“. Nach beendigter Singübung begab man sich zum Director Geißler, der seine Wohnung zu dem beabsichtigten Vergnügen, „dessen Schöpfer eigentlich unser Vorsteher, der Herr Domherr Dr. Klien, war“, eingeräumt hatte. Bald hatte sich Frohsinn und Freude Aller bemächtigt, „ein Toast folgte dem andern, ein Scherz dem andern“. Unter den vielen zu Tage geförderten Ideen fand die vom Vereinsarchivar Schreyer ausgesprochene allgemeinen Anklang, nämlich: „daß sich im Jahre 1850 alle heut’ Abend anwesenden Pauliner mit Weib und Kind an einem in den Zeitungen zu bestimmenden Orte einfinden möchten“. Ein jeder Pauliner gab dem andern hierzu die Rechte, sein Kommen, wenn die Götter ihn nicht daran verhindern würden, versprechend.

Das Jahr 1850 kam. Zum Stiftungsfeste am 4. Juli, das diesmal auf drei Tage ausgedehnt wurde, war eine außergewöhnliche große Anzahl alter Pauliner und Gäste in Leipzig eingetroffen, auch Schumann und Gade (welche die Diplome als Ehrenmitglieder erhielten) betheiligten sich daran. Dieses Fest war als fünfundzwanzigjähriges Jubiläum des Vereins bezeichnet worden, ein Irrthum, der sich nur aus den ungewöhnlichen Vorbereitungen zu demselben, in Verbindung mit jenem oben erwähnten Abend gedacht, erklären lassen dürfte. Im Juli 1862 feierte man ein ähnliches glanzvolles Fest; dieses war richtig als das vierzigste Stiftungsfest bezeichnet worden. So viel zur muthmaßlichen Aufklärung dieser in der Musikgeschichte Leipzigs sich widersprechenden Angaben.

Mehrere academische Gesangvereine an verschiedenen deutschen Universitäten haben bei ihrer Begründung die Statuten des Paulinervereins adoptirt und in verschiedenen Städten Sachsens, namentlich Dresden und Zittau, haben sich „Filiale des Paulus“ gebildet. Zu bemerken ist, daß der Verein in der Regel jährlich beim Beginn der großen Ferien eine sogenannte „Spritze“ in eine sächsische Provinzialstadt macht, wobei er stets ein vorzügliches Concert veranstaltet, dem dann die Freuden der Geselligkeit folgen (so war er 1867 in Zschopau). Was Vorzügliches er bei den größeren Gesang- und Musikfesten zu Ballenstädt, Meißen, Chemnitz und Dresden geleistet, ist bekannt. Ueberall, wohin er kam und wirkte, ist er mit großer Auszeichnung genannt worden.

Die Zahl Seiner Mitglieder betrug nach dem Jahresbericht über das 45. Vereinsjahr (1866 - 1867) am 4. Juli 1867 außer dem Vorsteher und Director in Summa 126, wovon 22 auf Tenor I, 33 auf Tenor II, 37 auf Baß I, 34 auf Baß II kommen; lebende Ehrenmitglieder zählte er 12, außerordentliche Mitglieder 14. Am 1. Februar 1868 hatte er 114 Mitglieder. Vorsteher ist Seit 1839 Prof. E. H. Weber. Vor diesem waren Vorsteher: Dr. Tittmann (+ 30. December 1831) und Domherr Dr. Klien (+ 10. Mai 1839).