aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (2197)

geschrieben am 09. Oktober 2003 23:09:21:

Kulturlose Universitätsplanung

Als Antwort auf: Jetzt wird's lustig im Forum geschrieben von D. Koch am 09. Oktober 2003 10:04:11:

 

 

Spätestens mit dem Wiederaufbau der Universitätsbibliothek weiß jeder, wo die baulichen Stärken der Universität liegen - in herausragenden historischen städtebaulichen Leistungen. Wer den "Bildungsknast" (wie Studenten sagen) gegenüber kennenlernt, den Prof. Bigl prägend für die nächsten Jahrhunderte hielt, kann das selbst einschätzen.

Ebenso verhält es sich im Leipziger Stadtbild. Ohne den guten alten Hauptbahnhof wären die "Promenaden" nie möglich gewesen.

Auch die Liebigstraße hat unverwechselbare architektonische Maßstäbe wie Augenklinik, HNO, Chirurgie oder Pathologie (s.o. mit Blick von der Johannisallee aus), die ein unverzichtbares Gepräge geben.

Sobald es aber zu Neuplanungen kommt, ergibt sich wieder jenes Bild, was man hinlänglich kennt: Uniformierte Klötze und Langeweile, aufgeblasene Worthülsen und bunt aufgemotzte Modelle, die sich in der Realität als anödende Flächen und Dreckecken herausstellen. Die Augen derjenigen, die als Patienten in die Liebigstraße kommen, werden nicht etwa aufrichtend abgelenkt und aufgeheitert, sondern mit diesen anonymen Klötzen gelangweilt und herabgewürdigt.

Wenn man wirklich eine Boulevard-Atmosphäre schaffen will, kann man schon vor jeder Planung sehen, daß die HNO einen unverwechselbaren Beitrag dazu darstellt, während der Neubau gleich daneben, mag er funktional noch so gut und billig sein (was nicht meiner Einschätzung obliegt) ästhethisch gesehen nur anonymen städtebaulichen Abfall verkörpert.

Oder wie Bernd-Lutz Lange in etwa meinte, wenn er über den jetzigen Augustuplatz geht: "Augen zu und durch". :o)

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aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (2230)

geschrieben am 16. Oktober 2003 20:36:01:

Universitätsbau- und -planungskultur

Liebigstraße 10. Oktober 2003

neu 2003

saniert, soll abgerissen werden

"Boulevard-Atmosphäre" - 2003

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aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (4562)

geschrieben am 05. Dezember 2004 23:39:47:

Gefängnisse ohne Gitter

Als Antwort auf: Und wieder soll ein historisches Gebäude verschwinden geschrieben von T.Werner am 03. Dezember 2004 22:31:33:

Bereits jetzt wirkt die graue, gesichtlose Tristesse des 2003 fertiggestellten neuen Operativen Zentrums so unansehnlich, daß der gehübschte bunte Baustellenflyer mit den Informationen zum Neubau eher als Verulkung der Bürger erscheint.

Da der Begriff „Boulevard“ nicht geschützt ist, kann jede Betonpiste zum Gartenparadies erklärt werden. Nur eben sieht es in der Realität anders aus als in der aufgemotzten Werbung. Und wer täglich durch den Rauchermief an der Notaufnahme und am Haupteingang vorbeikommt, fragt sich, ob die Menschen krank sind, weil sie so viel rauchen oder ob sie so viel rauchen, weil sie in solch einem häßlichen Bau arbeiten oder diesen in Anspruch nehmen müssen.

Um es vorweg zu sagen: Dem Personal sind beste Arbeitsbedingungen zu wünschen! Die Forschung soll analog der Geschichte der Universität wieder Weltgeltung bekommen! Und man soll sich auch als Patient, selbst wenn man nicht gern ins Krankenhaus kommen möchte, diese Einstellung ablegen und sich heimisch fühlen können. Aber geschieht dies wirklich?

Der ominöse Flyer, der in den Briefkästen der Anwohner landete, war gar nicht explizit als Einladung ausgewiesen. Schließlich ging es nur um eine Informationsveranstaltung, wo nach den unansehnlichen Neubauten den Bürgern schöngeredet werden sollte, was noch weiteres davon in dieser Art kommt. Es war ja keine Bürgerbeteiligung gewünscht. Warum sollen die Bürger dann dorthingehen? Im Prinzip ist das eher etwas für die Ermittlungsgruppe INES und Transparany International. Die Abwesenheit der Bürger war eine Abstimmung.

Denn es ist doch merkwürdig, wie bei Ausgaben von 195 Millionen Euro ein so brechreizförderndes Aussehen favorisiert wird. Dabei hat doch gerade die Medizin- und Baugeschichte der Universität Leipzig Beispielloses zu bieten, was sich weltweit sehen und vermarkten lassen kann. Warum greift mal also nicht darauf zurück?

Warum wird sogar das Gegenteil praktiziert, indem mit fragwürdigen merkantilen Argumenten mit Steuermitteln sanierte Denkmalssubstanz sogar zerstört werden soll? Wie man das bewerkstelligt, ist klar. Man nimmt einfach einen Jubler, der schon Ulbrichts Neubauten pries und mache Denkmalssubstanz schlecht, um die Genehmigung zu bekommen. Aber von wem geht es eigentlich aus, daß derart teure – im Volksmund würde man sagen – „Arschegalfassaden“ hingeklotzt werden? Wo läuft da etwas falsch? Wer hat schon an anderen Stellen mit schlechten architektonischen Ausschreibungen bzw. Bauplanungen und -ausführungen viel Geld bekommen? Kann man nicht sparsamer und gleichzeitig umsichtiger im Sinne von Ärzten und Patienten bauen?

Der Klinikumsvorstand schreibt im Flyer nur, daß das Universitätsklinikum modern wird, ja sogar „modernst“. Die derzeitige Planung spricht eher für ersteres. Das selbstgesteckte Ziel, Patienten fächerübergreifend, interdisziplinär und ganzheitlich zu behandeln, scheitert schon in der Einbeziehung der Bürger, Patienten und Mitarbeiter in die Planung. Von Qualität ist keine Rede.

Fest steht, daß das Klinikviertel in seiner Entstehung und in seiner Anlage Einzigartigkeit und Weltgeltung besaß und ein unverwechselbares Gepräge aufwies. Wissenschaftliche Erkenntnis und Anforderungen haben sich seither gravierend gewandelt. Doch wie werden Erkenntnisfortschritte z.B. analog der Medizin heute architektonisch umgesetzt? Wie spiegeln sich das Verhältnis zur bebaubaren Umwelt und die Innen-Außen-Relation?

Wie werden Wege zum Klinikum gestaltet, daß sie einladend und freundlich wirken, und daß man sie gern beschreitet? Wo sind die neuen Hauszeichen des 21. Jahrhunderts und die unverwechselbaren, individuellen architektonischen Antlitze? Wie kommt die Architektur menschlichen Eigenschaften entgegen, daß man über diese staunen und sich an ihr erfreuen kann? Und gerade bei Klinikneubauten, die sich vom Charakter ihrer Vorgänger wesentlich unterscheiden, wachsen die Anforderungen – auch in der Innenarchitektur. Was bieten sie Ärzten, Mitarbeitern und Patienten an geistiger Anregung, an Ablenkung, an Kommunikation, Aufmunterung, Bestärkung und manchem auch an Ruhe und Trost?

Wann nimmt man sich diesen, eben auch wissenschaftlichen Herausforderungen im umfassendsten, demokratischen Konsens an und echauffiert sich nicht mehr darüber, daß ich an dieser Stelle kritische Worte verwenden mußte?...