aus dem Forum Wiederaufbau Paulinerkirche Leipzig (7657)

geschrieben am 30. Mai 2006 01:29:22:

4.1.1 Transparenz - Profilierungsphase Kommerzielle Koordinierung

Den eigentlichen Vorlauf für die Aktion in der Universitätskirche St. Pauli bildete die „Aktion Licht“ 1962, in der erstmalig in der gesamten DDR eine systematische Suche nach verborgenen Wertgegenständen organisiert wurde. Zuerst betraf dies alle seit 1945 unberührten Tresore und Schließfächer von Banken in der gesamten DDR. In einer zweiten Etappe wurden systematisch Ruinen, Bunker, Bergstollen und Gebäude durchsucht (Villen, Schlösser, Museen), in denen man noch Wertgegenstände aus der Zeit bis 1945 vermutete. Dabei sammelte man bereits über die Hauptabteilung III (Zuständigkeitsbereich Aufklärung) Erfahrungen in der Bildung von Einsatzstäben und kleinen Einsatzgruppen, in der Rekrutierung von Pioniereinheiten, Feuerwehr, Spezialtransportgeräte, selbst Tauchern etc. – alles unter der Geheimhaltungsstufe konspirativer Ermittlungen. Dies ist in der Dissertation von Ulf Bischof über die Kunst und Antiquitäten GmbH nachzulesen.

Die Zeit der Sprengung der Universitätskirche St. Pauli fällt in die Zeit der Profilierung des Bereiches Kommerzielle Koordinierung im damaligen Ministerium für Außenhandel der DDR, das am 1. Oktober 1966 gegründet wurde (ab 1968 umbenannt zum Ministerium für Außenwirtschaft der DDR). Dies wurde über die Abteilung XVIII/7 des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR abgesichert. Unter der Leitung von Alexander Schalck-Golodkowski ab Anfang 1967 im Rang eines Oberst des Ministeriums für Staatssicherheit und gleichzeitig Offiziers im besonderen Einsatz (Oibe) hatte dieser Bereich umfängliche Befugnisse und nahezu freie Hand, um eigenmächtig agieren zu können. Gemäß derVerfügung 61/66 des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph, vom 1.4.1966 hatte der neu zu schaffende Sonderbereich im Außenhandel die Durchführung der kommerziellen Beziehungen mit Religionsgemeinschaften und anderen Institutionen zu leiten und u.a. die Sicherung des einheitlichen handelspolitischen Auftretens zu bewerkstelligen.

Allein die Intrac Zentral-Kommerz beschäftigte laut Schalck-Golodkowskis Dissertation aus dem Jahre 1970 im Jahre 1968 83 Mitarbeiter, die laut Plan bereits für 1970 mehr als verdoppelt werden sollten. Dabei sind Auslandsspitzel in der ehemaligen Bundesrepublik und in West- und Nordeuropa nicht mit eingerechnet.

Schließlich war das Aufgabenfeld die Technologie- und Devisenbeschaffung sowie die Expansion in das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet. Folglich wurden genaue Analysen erstellt, auf welchen Gebieten Märkte erschlossen und Gelder erwirtschaftet werden können. All dies kann in der Dissertation Schalck-Golodkowskis nachgelesen werden.

Die direkte „Kommerzialisierung“ bezüglich Kunst erfolgte erst im Jahre 1973 mit der Gründung der „Kunst und Antiquitäten GmbH“, womit der spätere Generaldirektor Horst Schuster (ab 1967 Informeller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereiches (IMS), ab 1973 Informeller Mitarbeiter mit Feindverbindung (IMB)) betraut wurde.

Da Horst Schuster im Jahre 1983 aus der DDR floh, sind von ihm ausführliche Informationen in den Köppe-Bericht eingeflossen, die die Verflechtungen in der damaligen Situation verständlicher darstellen. Insbesondere bestanden feste Verbindungen zwischen dem Ministerium für Nationale Verteidigung der DDR und dem Ministerium für Staatssicherheit. Bezüglich der Kunst bedeutet das z.B., daß zweimal jährlich Zusammenstellungen leicht verkäuflicher Antiquitäten für den Militärischen Nachrichtendienst der DDR angefertigt wurden. Diese Antiquitäten wurden u.a. in die Bundesrepublik geliefert z.B. als Entgelt für Agenten.

Auch wenn diese „Kommerzialisierung“ im Jahre 1968 noch nicht so ausgeprägt war, d.h. noch nicht z.B. die gezielte Enteignung und Entrechtung von Kunstsammlern in der DDR betrieben wurde, so waren diese Koordinierungen allein durch die funktionale Arbeitsteilung und personellen Verflechtungen zwischen den parallel und selbständig arbeitenden Einheiten der Militärspionage und der Staatssicherheit stets gegeben.

D.h. für bestimmte Aufgaben mußte man im Bereich der Kommerziellen Koordinierung auf speziell ausgebildete Fachkräfte zurückgreifen. Sicherlich wird keiner der Intrac-Mitarbeiter in Schutzkleidung in die Grüfte der Universitätskirche St. Pauli abdelegiert worden sein. Dazu bedurfte es anderer Kräfte.

Hinsichtlich der Delegationen, die am Wochenende vor der Sprengung extra die Reise nach Leipzig antraten, um die Geheimaktion zu besichtigen, zu beaufsichtigen bzw. zu kontrollieren, konnten auch Mitarbeiter aus diesen Reihen vergattert werden.

Die Auswertung aller Amateurfotos, die an diesen Tagen rings um die Universitätskirche gemacht worden sind, ist noch nicht erfolgt. Es bestehen aber gute Chancen, daß hierbei auch diese kenntlich gemacht werden können. Gerade am Sonntag, den 26. Mai 1968 besuchten viele ahnungslose Bürger die Stadt Leipzig, die es sich verständlicherweise nicht nehmen ließen, das abgesperrte Gebiet unauffällig abzulichten.

Den offiziellen Hinweis, daß hier Interessen der HV A mit hineinspielten, lieferte der damalige Rektor, Prof. Ernst Werner, der in einem Artikel, wonach die Universitätskirche nicht „automatisch“ hätte zerstört werden müssen (UZ/37 vom 10.11.1990), vermerkte, daß das schwedische Königshaus zugunsten der Kirche intervenierte und auch die Übernahme zusätzlicher Kosten zusicherte. Dazu ist anzudeuten, daß tatsächlich mindestens 27 schwedische Bürger in der Paulinerkirche begraben waren, wobei man damals sicherlich nicht wußte, daß die meisten in einer Kapelle begraben worden waren, die 1968 nicht mehr existierte.

Wer dann tatsächlich an dem Geschäft mit der HV A beteiligt war, müßte aktenkundig vermerkt sein. Auf jeden Fall hatten alle Bereiche des MfS ein ureigenes Interesse an derartigen Geschäften, da damit laut Aussagen von Horst Schuster ihre operative Arbeit finanziert wurde.

Kultur war zudem immer ein gutes Bindeglied zum Aufbau von Beziehungen im Bereich der Außenwirtschaft und des Waffenhandels der DDR. Spätestens mit dem Jahre 1990, als die Bevölkerung des Bezirkes Rostock mit der Besetzung des zur IMES gehörenden, der MfS-Abteilung BCD unterstehenden Waffenlagers Kavelstorf mitbekam, daß der Waffenhandel ein blühendes Geschäft der „friedliebenden“ DDR war, und wo der normale Bürger als FDGB-Mitglied merkte, daß gespendete „Soli-Gelder“ wohl alles andere als solidarisch angelegt worden waren, wurde offenkundig, daß mit den offiziell propagierten Anliegen der SED wohl einiges in der Realität nicht stimmte.

Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, daß elf Tage nach der Sprengung der Universitätskirche St. Pauli eine „Verordnung zum Schutze des deutschen Kunstbesitzes und des Besitzes an wissenschaftlichen Dokumenten und Materialien vom 2. April 1953 (GBl., S. 522; Ber. S. 576) in der Fassung des Anpassungsgesetzes vom 11. Juni 1968 (GBl.. I., S. 242; Ber. GBl. II., S. 827)“ erlassen wurde.

Die Verordnung regelt die Ausfuhr von Kunstwerken und von wissenschaftlichen Dokumenten und Materialien von allgemeinem kulturellen Wert oder von Gegenständen besonderer historischer Bedeutung aus der Deutschen Demokratischen Republik.

Somit kann zweifelfrei aufgrund von Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, des Ministeriums für Außenhandel der DDR sowie eventuell weiterer Beteiligter festgestellt werden, was mit dem Erbe bzw. dem Kulturgut aus der Universitätskirche St. Pauli geschah bzw. wo dies sich befindet.

Warum dies bisher wie vieles andere unterdrückt wurde, soll im nächsten Punkt erläutert werden.