Zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz Ungenügende Selbstverpflichtung deutscher Wissenschaftsorganisationen
Bei allem Respekt und sichtbaren Erfolgen mit dem seit 70 Jahren bestehenden Grundgesetz fällt die Selbstverpflichtung der Wissenschaftsorganisationen und deren Handeln sowie auch reales Nichthandeln weit hinter das zurück, was die Lehren auch 75 Jahre nach der Befreiung des deutschen Konzentrationslagers Auschwitz bedeuten. Denn die Begriffe Geschichte und Vergangenheit werden in ihr ebenso ausgeschaltet wie die Moral. Und selbst der Begriff der Ethik wird nur noch auf Kommissionen und Beratungsstrukturen abgeschoben. Die Kernpunkte einer Selbstverpflichtung sollten aber Prinzipien von Moral und Ethik sein, die angesichts unvergleichlicher Menschheitsverbrechen im deutschen Nationalsozialismus neuerliche diktatorische Entwicklungen bereits im Ansatz ausschließen. Primo Levi sagte mahnend: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Gerade deshalb formulierte der Vorsitzende des Auschwitz-Komitees Roman Kent das 11. Gebot aus der Erfahrung der Shoa: „Sei nicht gleichgültig.“ Marian Turski führte dies zur Gedenkfeier in Auschwitz 2020 weiter aus: „Seid nicht gleichgültig, wenn ihr historische Lügen seht. Seid nicht gleichgültig, wenn ihr seht, dass die Vergangenheit für aktuelle politische Zwecke missbraucht wird.“ Denn wenn in den letzten Jahren wieder mehr antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Tendenzen aufkeimen, ist das nicht nur fehlender Bildung in Deutschlands Geschichte geschuldet, sondern auch fehlender Ethik und Moral. Wenn Verantwortungsträger ihr Amt nur noch als „Job“ sehen und nur für sich alle Freiheiten nehmen, indem sie vernachlässigen, was eventuell mühevoll und beschwerlich, unbequem ist oder über den Tageshorizont hinausgeht, gefährden sie den gesellschaftlichen Konsens. Die Besonderheit liegt darin begriffen, daß im Zuge der Deutschen Einheit 1990 nicht ausreichend bedacht wurde, daß nach der ersten deutschen Diktatur in Ostdeutschland eine zweite folgte, die zwar nicht vergleichbar war mit der ersten, aber u.a. Organisations- und Personalkontinuitäten von der NSDAP zur SED aufwies und die mit der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag vom 18.09.1990 bis heute nicht aufgeklärt ist. Zwar kamen geplante neue Internierungslager in der DDR ebensowenig zum Einsatz wie medizinische Forschungen für Kampfstoffe zum Ausschalten ganzer Ethnien, aber die Verstrahlung von Menschen war bereits Anwendungsgebiet … Hauptziel war für die SED die Schaffung eines neuen sozialistischen Menschenbildes, das mit dem Jahre Null im Jahre 1945 in Deutschland beginnen und über die sozialistische Menschengemeinschaft den Sozialismus-Kommunismus weltweit zum Sieg führen sollte. Damit einher ging die Auslöschung und Vernichtung von bürgerlichen Werten u.a. in Bildung und Erziehung nebst der Negierung von Glaubensfragen und Religion. Analog zum zunehmenden Verfall ostdeutscher Städte und zum Frevel an Natur und Umwelt u.a. durch den Abbau von Uran bis zur Braunkohle sollten die SED-Maßgaben auch in die Köpfe der Menschen. Der sich folglich allgemein und überall ausbreitende Widerstand bis zum Ende der DDR konnte aber die in 40 Jahren SED-Diktatur geschaffenen Defizite zu großen Teilen bis heute nicht beheben. Allein mit dem Beitritt zum Grundgesetz und mit der Unterstützung aus dem alten Bundesgebiet war keine demokratische Erneuerung möglich, zumal die SED in ihrer Vorwärtsstrategie auch für den Fall des Ausfalls ihrer Führungsriegen mit B-Kadern in anderen Parteien und einem reichhaltig teils weiter legendiert agierenden Stasi- und Vasallenklientel die „Nachwendezeit“ maßgeblich mitbestimmte. So wurde in Leipzig weder die von den Nazis zerstörte Synagoge wiederaufgebaut noch gab es Transparenz in der Leipziger Stadtverwaltung. Wer sich bei der damaligen Wohnungsknappheit durch sozialistischen Verfall die Liste der Konspirativen Wohnungen des Ministeriums für Staatssicherheit in Leipzig genau anschaut, kann sich gut vorstellen, womit die Genossen mit der „Wende“ befaßt waren, warum hunderte „herrenlose Häuser“ die Justiz weiter beschäftigen und zahlreiche Skandale mit Milliardenschäden zu verzeichnen sind. Demokratisches Handeln auf geschichtlich notwendigem Kulturniveau konnte nicht realisiert werden, wo entsprechende Kader damit befaßt waren, sich an Schreibtische zu klammern. Und diese teilten ihren aus den westlichen Bundesgebieten kommenden Mitarbeitern und Vorgesetzten kaum eigene Verstrickungen und Schandtaten mit. Es sind also nicht nur die Defizite auf östlicher Seite, die die derzeitige Lage herbeigeführt haben. Viel mehr sind es eben auch Defizite in Ethik und Moral leitender Verantwortungsträger, die vermeinen, die Freiheit für sich gepachtet zu haben, als Elite auftreten und alles beiseite schieben, verdrängen oder totschweigen zu können, was ihnen nicht paßt. Doch dieses Aussitzen führt nicht nur zur Stagnation, sondern zur Aushöhlung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates. Für ein weiterhin herausragendes Beispiel der Bildungsunterdrückung in Deutschland steht die Hochschulrektorenkonferenz. Nicht auf den Rat von 27 Nobelpreisträgern und vieler prominenter Bürger hörte diese, sondern auf das vorsätzlich geschichtsklitternde Ansinnen von Kadern mit SED-, Stasi-, KGB- und Securitate-Hintergrund an der Universität Leipzig, wo Parteigehorsam bzw. tschekistischer Eid über Gewissen und Wissenschaftsfreiheit stehen. Wenn gerade aktuell 2020 im Zusammenhang mit dem Coronavirus in China diktatorische Maßnahmen des Regimes kritisiert werden, wonach u.a. Li Wenliang, der frühzeitig darauf hinwies, unter Strafandrohung gezwungen wurde, die Bekanntgabe zu unterlassen, so handelte die HRK-Leitung bereits im Jahre 2010 in Deutschland analog mit Unterlassungsdrohung bezüglich der Schadplanungen in Leipzig. Das Ergebnis in Deutschland im Hinblicke auf die Verhinderung des spendenmittelfinanzierten Wiederaufbaus der Leipziger Paulinerkirche ist deutlich. Im Gegensatz zum weltweit beachteten Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche wurden in Leipzig insgesamt über 250 Millionen Euro Steuergelder! für seelenlose Bauten verpulvert, die nicht im geringsten an das Kulturniveau heranreichen, was die Geschichte der Universität Leipzig zu bieten hat. Federführend für die Hochschulrektorenkonferenz ist gegenwärtig Univ.-Prof. Dr. Peter-André Alt. Das Schlimme daran ist, daß Führungskader wie er nicht nur jahrelang Bildungsunterdrückung leisten, sondern daß sie sich jeglichen wissenschaftlichen Austausches und jeden seriösen Dialoges durch Wegschauen, Verdrängen und Totschweigen entziehen. Da ich seit dem 6. März 2003 aufgrund meiner wissenschaftlichen Tätigkeit ausgegrenzt werde, kann ich folglich kaum meiner Arbeit nachgehen, sondern muß dieses grundgesetzwidrige und gesellschaftlich kontraproduktive Verhalten von Verantwortungsträgern zwecks Änderung anmahnen und dokumentieren. Dies gilt auch für den Affront des scheidenden Akademiepräsidenten der Leopoldina Prof. Dr. Jörg Hacker, der sich mit seiner Totstellerhaltung, die er vielleicht unter Wissenschaftsfreiheit subsumiert, gegen Akademiemitglied und Nobelpreisträger Prof. Günter Blobel stellt. Und als konkretes Beispiel, daß man zwar den Namen von Gottfried Wilhelm Leibniz für eine Organisation ausgiebig benutzt, sich aber gar nicht um den Werdegang und um die Familie Leibniz mit der notwendigen Aufklärung von SED-Verbrechen in Leipzig kümmert, dafür steht Prof. Dr. Matthias Kleiner. Dies sind nur drei Beispiele von zahlreichen weiteren, die konkret zeigen, daß eine Diktatur eben nicht vom Himmel fällt. Es ist damit nachweislich, daß sich Repräsentanten der Wissenschaftsorganisationen nicht einmal an ihrer eigene unzureichende Selbstverpflichtung halten. Somit erklärt sich auch der in Deutschland entstehende Populismus, wenn sich Verantwortungsträger notwendiger Bildung und gesellschaftlichen Problemen mit weitreichenden Folgen entziehen und u.a. das von Roman Kent formulierte 11. Gebot mißachten. All das beschreibt, daß man in Deutschland seit Jahren bereits wieder an vielen Stellen von demokratischen Prinzipien abgekommen ist. Populismus keimt auf, wenn Verantwortliche ihr Amt nur noch oberflächlich ausüben, sich im Eigennutz sonnen und das Gemeinwohl zunehmend vernachlässigen. Nötig sind aber keine karrieregeilen Rollenspieler, Pappkameraden und Führungskader mit ungreifbarem Parallelweltgehabe, sondern Menschen, die das Geschehene von Auschwitz verinnerlicht haben und die sich darum kümmern, daß fehlende Bildung und verlorengegangenes Kulturniveau überall und jedem wieder vermittelt wird.
Weitere Erläuterungen: Zur Zusatzvereinbarung vom 18.09.1990 zum Deutschen Einigungsvertrag Leipzig - Diktaturfolgen Ethik - Aufarbeitung Zweite Deutsche Diktatur
Texte und Zusammenstellung Wieland Zumpe, Stand: 14. Dezember 2021 Leipzig. Copyright © 1999-2021 Email: bach(at)paulinerkirche.org