unbeantwortet

 

Herrn Prof. Dr. Norbert Lammert, MdB

- persönlich -

Präsident des Deutschen Bundestages

Deutscher Bundestag

Platz der Republik 1

 

11011 Berlin

 

 

Mangel an Bildung und Ethik im Deutschen Bundestag

 

Leipzig, den 2. November 2011

 

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident Professor Lammert,

 

dieser Brief richtet sich persönlich an Sie, da dieser Mangel im Bundestag parteien- und ressortübergreifend anzutreffen ist und Ihrem Präsidialbüro entsprechendes Material vorliegt. Eine „Bildungsrepublik Deutschland“ bedarf des Verständnisses grundsätzlicher Entwicklungen im Zuge der Deutschen Einheit, da weiterhin ein zum Teil sehr hoher Nachholbedarf zur Schließung von Wissenslücken und fehlender Bildung zu verzeichnen ist.

 

Ein positives Beispiel zur Leipziger Gründerzeit möge als Einleitung dienen.

 

Wenn Sie zum 24. Bundesparteitag der CDU wieder nach Leipzig kommen, sollten Sie sich das Gebäude von Architekt Arwed Rossbach Beethovenstraße 8 anschauen. Es gab Pläne in den 1960er Jahren, dieses wie viele andere abzureißen. Doch Bewohner wehrten sich, und trotz des zunehmenden Verfalls und der Schwemme an Immobilienspekulanten nach 1989 gelang ein Resultat, was sehenswert ist. Der Neueigentümer nahm sich des historischen Erbes und des zur Verfügung stehenden Materials an, es gab einvernehmliche Lösungen mit allen Mietern und schließlich einen Preis der Denkmalpflege. Dies ist eines von vielleicht tausenden Beispielen, wo sich Alt- und Neueigentümer mit Tatkraft und Engagement liebevoll der über Jahrhunderte gewachsenen Baukultur widmeten, selbst wenn sie sich dabei verschuldeten.

 

Es ist also nicht – und damit kommen wir zur Kehrseite – das Verdienst der SPD-Genossen im Leipziger Rathaus, die sich wie der SPD-Bürgermeister, Verwaltungschef und Auslandskader Andreas Müller (studierte zu DDR-Zeiten u.a. in der Schweiz Theologie) persönlich z.B. für den Erhalt des Gebäudes Beethovenstraße 8 einsetzen wollten und untätig blieben. Und dies hat Gründe.

 

Vielleicht ist Ihnen der erstmals am 06.11.1989 ausgestrahlte Film „Ist Leipzig noch zu retten?“ bekannt, der verdeutlichte, warum Leipziger Bürger gegen den Verfall ihrer Stadt auf die Straße gingen. Während die SED einerseits wertvolle Bausubstanz verrotten ließ, band sie Baukapazitäten an die wasserköpfigen Apparate der SED, insbesondere des Ministeriums für Staatssicherheit und speziell aufgrund der Leipziger Messe für die Auslandsspionage (HV A). Diese wurden mit Neubauten versorgt oder nisteten sich in Gründerzeit- bzw. guten Altbauten ein wie Ministerrat der DDR, Ministerium des Innern, Rat des Bezirkes, Rat der Stadt, Wehrkreiskommandos, CDU, GST, FDJ, DBD u.a.

Entkernungsfolgen zeugen heute noch in den Gebäuden davon.

 

Dies war nicht nur einfaches Schmarotzertum der SED und ihrer Mitläufer, sondern ein gewollter und gezielter Zivilisationsbruch. Während die Nationalsozialisten nur zwölf Jahre ihre Diktatur ausüben konnten, zog sich der ideologische Wahn der bolschewistischen SED-Herrschaft über 40 Jahre. Vom Jahr 1945 als Stunde Null, über die sozialistische Menschengemeinschaft bis zum versuchten Sieg des Sozialismus-Kommunismus wurde dies planmäßig in die Tat umgesetzt. Es bedeutete die Unterdrückung demokratischer Bestrebungen, so daß oftmals nur Flucht blieb, die Enteignung und Vertreibung alteingesessener Firmen und Familien. Das hieß auch Umbenennungen von Straßen, Plätzen und Gebäuden, Erfindung, Legendierung und Fälschung von geschichtlichen Bezügen von Walter Ulbrichts angeblichem Geburtshaus, über die „Iskra-Gedenkstätte“ bis zum Ehrenhain der Täter auf dem Leipziger Südfriedhof.

 

Das bedeutete aber vor allem Zerstörung der gewachsenen Stadtstrukturen mit Vernachlässigung der Altbausubstanz, Sprengung und Abriß kriegsbeschädigter Bauten wie dem zweiten Gewandhaus und stattdessen einfältige, solitäre Neubauten, „Arbeiterschließfächer“ als seelenlose Plattenbauten und das Ausweiden von Straßen und Plätzen – alles Maßnahmen, die die Stadt Leipzig immer unattraktiver und gesichtsloser werden ließen und lassen.

Jahrhundertelange Bau-, Geistes- und Kulturgeschichte wurde ignoriert, und in mehreren Säuberungsaktionen wurden durch die Leipziger Stadtverwaltung Kulturwerte vernichtet,

Bibliotheksgut zerstört, Sammlungen der Stadtplanung und Bauakten vernichtet. Auch dies bewegt den jetzigen geschichtsklitternden SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung nicht(1).

 

Was über Jahrhunderte und Generationen an Kulturwerten mühsam erarbeitet wurde, fiel nach dem II. Weltkrieg dem bolschewistischen Mob der SED zum Opfer, der diktierte, was an bürgerlichem Erbe und Tradition je nach Gutdünken noch genehm war. Selbst als sich die DDR im Laufe ihrer Existenz international weiter öffnen mußte, weil die SED die Wirtschaft immer mehr in den Ruin trieb, forcierte sie auch den Ausverkauf von Kulturgütern sowie die Ausschlachtung kulturellen Erbes in unterschiedlichsten kriminellen Formen.

 

Von all dem erfuhr der normale DDR-Bürger natürlich nur bruchstückhaft und hinter vorgehaltener Hand aus seinem eigenen Umfeld, da es eine Informationsgesellschaft im heutigen Sinne nicht gab. Wenn sich jemand auf die Schulbildung in der DDR beruft, so mag die Vergleichbarkeit bei bestimmten naturwissenschaftlichen und sprachlichen Bereichen möglicherweise legitim sein, in Fragen der Geschichte und der bürgerlichen Bildung und Kultur ist es dies nicht. Bürgerliche Kultur – Architektur, Wirtschaft, geistiges Leben, soziale Entwicklungen bis 1933 und auch bis 1945 blieben weitgehend tabu! Ganze Schülergenerationen, die in der DDR aufgewachsen sind, wurden Geschichtsfälschungen eingetrichtert – von der Leipziger Deutschland-Halle, die zum „Sowjetischen Pavillon“ wurde bis zur „Blechbüchse“ als Notbehelf zur Ummantelung des ausgebrannten Kaufhauses Brühl von Emil Franz Hänsel. Traditionelle Werte und Leistungsträger wurden in den 15 Bezirken der DDR verleugnet und nach Belieben als böse Kapitalisten, Klassenfeinde, Ausbeuter und imperialistischen Kräfte deklariert und verschrieen. Statt von den Vorgenerationen ererbte, bürgerliche Kultur wurde damit Unwissen, Verblendung und ideologischer Haß als Grundbestandteil in der sozialistischen Gesellschaft propagiert.

 

Diese Situation hält sich bis heute, da eine systematische und umsichtige Aufarbeitung, welche Geschichtsfälschungen und -verbrechen die SED und ihre Vasallen betrieben, fehlt.

Die gerissenen Wissens- und Bildungslücken sind weiterhin bis heute prägend. Dabei ist die Herstellung einer geschichtlichen Kontinuität für die Einheit Deutschlands unabdingbar.

 

Die Studentin Angela Merkel durfte während ihrer Leipziger Studienzeit zwar zugeschüttete mittelalterliche Festungsanlagen mit ausschachten helfen, aber sie erfuhr nichts von dem, was dort mit der 1. Bürgerschule an städtebaulicher Qualität vorhanden war. Frau Katrin Göring-Eckardt war bei ihrem Leipziger Theologiestudium sicherlich nichts vom Ausmaß der SED-Verbrechen u.a. zur Matthäikirche und zur Paulinerkirche bekannt. Und auch andere Studierende u.a. des Marxismus-Leninismus an der „Karl-Marx-Universität“ Leipzig, die heute teils legendiert in der Bundestagsverwaltung angestellt sind, blieben die Maßstäbe vom Fürstenhaus bis zum Johanneum und zum Bornerianum völlig unbekannt, da diese tabu waren und teils heute noch sind.

 

Wenn nun Kulturstaatsminister Bernd Neumann Kunst und Kultur als Zukunftsmotor unserer Gesellschaft begreift, ist es höchste Zeit, mit Nachdruck die durch die zweite deutsche Diktatur geschaffenen Bildungslücken endlich abzubauen. Eine „Bildungsrepublik Deutschland“, die ohne Begriffe wie Identität, Verwurzelung und Identifikation auskommt und sich nur auf ein Jahrzehnt bezieht, greift zu kurz. Gerade Verwaltungsbereiche in Sachsen, wo ehemalige SED- und MfS-Kader nach der Wende eingestellt wurden, verdeutlichen dies. Denn wer damals für den Verfall Leipzigs mitverantwortlich war und noch davon profitierte, hat kein Interesse an bürgerlichen Werten und Bildung und einer Aufbereitung des unterdrückten Wissens, sondern nur am

weiteren Profitieren mit „Netzwerkern“, die einen guten Draht zu allen Parteien und auch zu den Wirtschaftsorganisationen, zu den Banken und zu den Versicherungen haben(2).

So ist es kein Wunder, daß Skandale wie der mit dem Betrieb für Beschäftigungsförderung, intransparente Immobiliengeschäfte, Sachsenbank, Olympiabewerbung, City-Tunnel, Wasserwerke, mdr u.v.a. Milliardensummen an Steuergeldern verschlangen und verschlingen.

 

Gleiches gilt für Leipziger Neubauten nach 1990. Während in der Leipziger Kultur- und Baugeschichte – seien es Persönlichkeiten wie Arwed Rossbach und Hugo Licht – bei ihren damaligen neuen Gebäuden immer an historische Vorgänger anknüpften, profitierten nach 1989 Abrißfirmen und Betonbauer und es wird verbal gehübscht, was Neubauten nicht mehr zu leisten vermögen. Fehlende Bildung und Kultur begünstigen Hochstapler, Scharlatane und Abzocker und hinterlassen nur weiteren Schaden und städtebaulichen Abfall wie das Bildermuseum und das unfertige Betonkonglomerat am Augustusplatz. Nachdem Sie mir im Jahre 2007 schrieben, daß dessen beabsichtigte Fertigstellung im Jahre 2009 immer wahrscheinlicher wird, können Sie sich aus Anlaß des Bundesparteitages 2011 in Leipzig vom Gegenteil und von sinnloser Steuergeldverschwendung ein Bild machen.

 

Während Ihr Büro mein Flugblatt zur Kulturschande in Leipzig(3) aufmerksam las, ignorierte dies der zuständige SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung, dem ich es direkt gab, mit Nichtstun.

Während damals am Augustusplatz Bodendenkmale eilends zerstört wurden, sollte dafür nun um so mehr vor dem Neuen Rathaus gefunden werden. Auch dies hat seinen Grund.

Denn krampfhaft wird nach der Legitimation des Standortwechsels für die Propsteikirche gesucht, während der eigentliche Standort der Leipziger Katholischen Kirche St. Trinitatis, die nicht entwidmet wurde und zu DDR-Zeiten ebenfalls als kriegsbeschädigte Kirche gesprengt wurde, vernachlässigt wird. Dort ist gegenwärtig Freifläche, etwas Spielplatz und damit verbunden eine besondere DDR-Plattenbauschule(4). Vielleicht sollte SPD-MdB Genosse Wolfgang Tiefensee im Bundestag mehr berichten aus der Zeit, als er einen „konsiliaren Prozeß“ einleitete und die Schule mit Eltern eine Patenschaft pflegte – mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Denn sicherlich hatte die 1985 eingeweihte Schule mit der Benennung „Walter-Gronau-Oberschule“, dem Generalmajor im Wachregiment Feliks Dzierzynski und Leiter der HA I des MfS, viel vor. Das heißt nichts anderes, als daß anstatt solider Wiederherstellung gewachsener städtischer Strukturen SED-Willkür und SED-Verbrechen nach über 20 Jahren weiterführend in der Stadtplanung neue Früchte tragen sollen.

 

Spätestens die Verhinderung des Wiederaufbaus der Leipziger Universitätskirche St. Pauli hätte zu denken geben müssen, was fehlende Bildung und unterdrückte Kultur für Schaden anrichten. Daß Ihnen nun in den Mund gelegt wird, eine „schöne, neue [Propstei-]Kirche“ zu befürworten unter Verleugnung ihres eigentlichen Standortes ist ein eklatanter Vorgang, denn es geht nicht nur Ihnen so, sondern auch Herrn Dr. Thomas de Maizière und weiteren Prominenten. Sogar dem Vorsitzendem der Deutschen Bischofskonferenz Dr. Robert Zollitsch wird ein unstimmiger Text unterlegt, so daß man sich fragt, wer bei diesen falschen Zeugnissen die Fäden zieht.

 

Gerade aus diesem Grunde fordere ich von Ihnen, daß Kulturgeschichte als Bildungsgut transparent gemacht und deren Aufarbeitung anerkannt wird und der Deutsche Bundestag sich dem nicht länger verweigert, indem er Mangel an Bildung zeigt, wenn er u.a. von einem „Abriß“ der Paulinerkirche spricht.

Wie kann man ein Reformationsjubiläum propagieren, wenn Geschichte, wie ich sie ausführlich dargestellt habe, unterdrückt wird? Mit Ethik hat dies insofern zu tun, daß strukturadäquates Verhalten oftmals schwer zu verwirklichen ist. Aber es kann in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat nicht so sein, wie ich es dokumentieren mußte. (5)

 

Ich erwarte Abhilfe in Ihrem Handeln gemäß Artikel 56 des Grundgesetzes.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Wieland Zumpe

 

Dipl.-Kulturwissenschaftler

 

(1) http://www.paulinerkirche.org/archiv/ethik/k7/jung2010.html

(2) Axel Hilpert über seine Erfolge siehe ZDF: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1438262/Stasi-Belastete-in-Brandenburg#/beitrag/video/1438262/Stasi-Belastete-in-Brandenburg

(3) http://www.paulinerkirche.org/pdf/bach07.pdf

(4) http://www.paulinerkirche.org/kath/stadtkat.html

(5) http://www.paulinerkirche.org/archiv/diktatur/index.html

siehe auch:

http://www.paulinerkirche.org/Benedikt/rath.html http://www.paulinerkirche.org/kath/kath1847.htm

http://www.paulinerkirche.org/tmp/matth/bach4.htm

 

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