Turm
Vorwort
Der Thurm
Diktaturzeichen
Lenins Wahrsagung
Immobilien
Ruinen schaffen ohne Waffen
Gästehaus Ministerrat
Bildungspolitik
Aufwaidung
Raubbau Willkür Verdummung
Weiterführung SED-Verbrechen
Andauernde Diktaturfolgen
Universität Leipzig
Zäsur

Diktaturfolgen in der Architektur

Leipzig 2014





2. Der Thurm

Der Thurm zu Leipzig

Zu Leipzig stand ein fester Thurm
Hochragend auf der Mauer,
Er trotzte manchem Stoß und Sturm
Und manchem Kugelschauer.

Der alte Meister grub hinein
Mit Goldschrift in die Steine:
Durch Zwietracht wird das Große klein,
Durch Eintracht groß das Kleine.

So stand er manches liebe Jahr
Und sah das Land der Sachsen
Trotz Wetter, Sturm und Kriegsgefahr
Durch Eintracht blühn und wachsen.

Doch einst war blut'ger Streit entfacht,
Die Kriegeswuth entbrannte,
Als Friederich mit Heeresmacht
An Leipzig`s Mauern rannte.

Der Herzog Moritz hielt`s in Hut,
Es spien aus offnem Rachen
Auf Thürm' und Mauern Blitz und Gluth,
Viel hundert ehr`ne Drachen.

Da sank der alte Thurm ins Feld
Hernieder von dem Walle,
Und an dem Boden lag zerschellt
Die Schrift vom jähen Falle.

Ein Trümmerhäuflein stand allein,
Es sprachen seine Steine:
Durch Zwietracht wird das Große klein,
Durch Eintracht groß das Kleine.

Bruno Lindner
(aus dem Sächsischen Volkskalender 1845)




Hochhaus der Karl-Marx-Universität Leipzig 2014

Auch wenn der von Bruno Lindner bedichtete Turm einige Meter entfernt stand, bleibt der jetzige weiterhin
ein Symbol für Zwietracht, Willkür und Diktatur. Einst als Hochhaus der Karl-Marx-Universität
Leipzig zum Sieg des Sozialismus-Kommunismus geplant, residierten hier in den obersten Etagen die Marxexegese
betreibenden wasserköpfigen Kaderapparate für den Marxismus-Leninismus. Hier wurde der neue
kommunistische Mensch in der sozialistischen Menschengemeinschaft propagiert, als dessen Geburtsstunde
das Jahre 1945 galt und für den – bis auf wenige Ausnahmen – alles zuvor als bürgerlicher Müll einer
imperialistischen Ausbeutergesellschaft unterdrückt und vernichtet werden sollte. Nach der „Wende“
entledigte man sich des auch funktional gescheiterten „Weisheitszahnes“ bzw. „Uni-Riesen“. Daraus wurde
ein „City-Hochhaus“, wo die Bewerbung für die Olympischen Spiele“ ebenso erfolgerheischend negativ verlief
und gegenwärtig eine äußerst fragwürdige „Strombörse“ als „Pannorama“-Tower diese unrühmliche Tradition
fortsetzt ...

Spätestens mit der Sprengung des Frankfurter Universitätshochhauses am 2. Februar 2014 wurde deutlich,
daß einem derartigen Betonmonster des vergangenen Jahrhunderts keiner mehr eine Träne nachweint.
Leipzig zählte bereits mit seiner überschaubaren Stadtsilhouette und einer hervorragenden Infrastruktur über
700.000 Einwohner. Die Stadt braucht keine Hochhäuser, so wie sie sich der SED-Chefarchitekt Prof. Dr.
Horst Siegel in 1960-er Jahren propagierte. Denn er wollte vier Hochhäuser am unmittelbaren Stadtkern, die
Gott sei Dank unrealisierbar blieben. (Er selbst wohnte auch nur im Leipziger Neubau, solange er für die
Partei Interviews als Aushängeschild dienen mußte.) Die einfaltslosen Versuche mit dem Hochhaus
Wintergartenstraße und mit dem Interhotel Merkur sowie nach der „Wende“ mit der stupiden Sparkasse
unterstreichen diese Fehlentwicklungen.

Der Thurm steht nur für die sichtbar überdimensionierten Auswüchse. Bruno Lindner spielt jedoch mit dem
Begriff der Zwietracht auf mehr an. Diktaturen sind Formen dafür. Und bis sich Leipzig von diesen erholt, ist
es noch ein weiter Weg.



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